BAD TALES (FAVOLACCE) von Damiano und Fabiano D’Innocenzo



Nach ihrem mehrfach ausgezeichneten Spielfilmdebüt LA TERRA DELL’ABBASTANZA (BOYS CRY), der 2018 im Panorama gezeigt wurde, sind die D’Innocenzo Brüder 2020 zurück in Berlin, diesmal im Wettbewerb der Berlinale. Auch ihr zweiter Spielfilm kreist um den Verlust kindlicher Unschuld, zerbrochene Träume und eine schier unerträgliche Zukunftsapathie. BAD TALES erzählt von Familien, die mit ihren – man möchte fast sagen ‚dressierten‘ – Kindern vor den Nachbarn mit herausragenden Zeugnisnoten prahlen, Vätern, die ihre Kinder verprügeln oder übergriffig zu Alkohol, Masernpartys und Sex verführen, Müttern, die ihren Kindern Schuldgefühle einreden, von Männern, die schon mal den eigenen Pool aufschlitzen und über deren Pornophantasien die eigenen Töchter bestens informiert sind und von Lehrern, die ihre Schüler in einer bizarren Art von Selbstverteidigung unterrichten.
Symbolhaft wird in dieser Welt ausschließlich von Einweggeschirr gespeist. Die Katastrophe scheint von Anfang an unausweichlich. Wie in Dalís Bildern verkünden Ameisen das herannahende Unheil. Die Kamera begleitet jede Figur in ihrem Setting aus Familie, Schule und Freunden. Die Gesichter mutieren allmählich zu Fratzen und ein altes sizilianisches Barocklied, „La Passacaglia della vita„, besingt die groteske Natur des Menschen. Es ist der bizarre und grimmige Humor der beiden Regie-Brüder, der dem Film seinen bitteren Ton verleiht. Immer wieder wechseln sich Szenen von kindlicher Unschuld mit Szenen stiller und lauter Gewalt ab. Es geht trashig zu. Zum Baden werden die Kinder zum Besitzer des einzigen Pools in der Siedlung geschickt. Den hier unter der Oberfläche gärenden, unausgesprochenen Neid untereinander überspielen die Familienväter mit gegenseitiger Wertschätzung und ausgestellter Dankbarkeit, hinterrücks werden andere Töne laut. Die Verbitterung, die in jeder Geschichte mitschwingt, ist für den Zuschauer oft kaum zu ertragen. Mehr als einmal bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

Die Vorstadthölle inszenieren Damiano und Fabiano D’Innocenzo mit einem Setting aus derbem Sozialrealismus und latent märchenhafter Symbolik. Die Filmsprache erinnert an die Bildästhetik Matteo Garrones, mit dem sie gemeinsam an DOGMAN zusammenarbeiteten. BAD TALES trifft den Zeitgeist aus Klassenkampf und Generationenkonflikt. Die Zwillingsbrüder, die sich das Filmen selber beibrachten und die, wie sie sagen, mit maskenhaften männlichen Rollenbildern aus der vulgären, machistisch geprägten Zeit des Berlusonismus und Salvinismus aufwuchsen, schauen abgeklärt und bitter auf die Unerträglichkeit des Seins ihrer Gegenwart, an der vor allem die Kinder im Film, die wie die Alter Egos der beiden 31-Jährigen anmuten, zu zerbrechen drohen. Für BAD TALES erhielten die 1988 geborenen Brüder bei der 70. Berlinale 2020 den Silbernen Bären für das Beste Drehbuch.

SuT

BAD TALES (FAVOLACCE), Regie: Damiano und Fabiano D’Innocenzo, DarstellerInnen: Elio Germano, Barbara Chichiarelli, Lino Musella, Gabriel Montesi, Max Malatesta, Tommaso di Cola, Giulietta Rebeggiani, Justin Korovkin, Giulia Melilio, Laura Borgioli, Ileana D’Ambra

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