70. Berlinale: „Malmkrog“ von Christi Puiu Encounters – Beste Regie


„Malmkrog“ von Cristi Puiu zitiert mit seiner Bildgestaltung Klassiker der Malerei. © Mandragora

Streitgespräche aus einer anderen Zeit

Es gibt Filme, die einen gleichgültig lassen, die man schnell nach dem Sehen wieder vergisst. Filme, die einen wütend machen, weil sie mit Stereotypen arbeiten, einen manipulieren wollen, zu sentimental sind. Es gibt Filme, die einen fordern, weil sie sowohl in Form und Inhalt etwas wagen, weil sie sich abheben von den üblichen Produktionen. Während für die einen der neue Film des rumänischen Regisseurs Christi Puiu nur fordernd war, und sie wohl auch ein bisschen wütend machte, gilt „Malmkrog“ für andere zu den innovativsten, gar drei besten Filme der diesjährigen Berlinale. Präsentiert im Nebenwettbewerb „Encounters“, wurde Puiu von der Jury mit dem Preis für die Beste Regie ausgezeichnet. Diesen hat er für seine präzise, stilsichere und spannungsreiche Inszenierung auch verdient.

Puiu gelingt es, die Spannung über eine Spieldauer von 200 Minuten, fast dreieinhalb Stunden, zu halten. Besonders eindrücklich ist dies, weil er sich im Wesentlichen auf einen Schauplatz und auf fünf Figuren konzentriert, die „nur“ reden. Der ganze Film besteht aus einem riesigen Streitgespräch, das nahezu in Echtheit an einem Nachmittag unter Freunden in einer großen, abgelegenen Villa stattfindet. Die Figuren sind alle Mitglieder der russischen Intelligenzija des Ende des 19. Jahrhunderts. Sie sprechen Französisch, wie es damals in diesen Kreisen üblich war. Französisch war die internationale Sprache der Diplomatie als die Welt noch „kleiner“ war, lange bevor das Englische auf den Plan trat.

Die Protagonisten in „Malmkrog“ artikulieren klar, jedes Wort hat sein Gewicht, es ist verständlich, für jeden, der die Sprache beherrscht. Doch die Sprache ist bewusst ein Mittel der Abgrenzung und in gewisser Weise auch der Ausgrenzung. Es reicht nicht, die einzelnen Worte zu verstehen, es geht um die Konzepte, die damit ausgedrückt werden – mit welchem Tonfall, mit welcher begleitenden Mimik. Die Dichte der Argumentation ist überladen, dem Zuschauer keine Zeit bleibt, sie zu verarbeiten. Nahtlos knüpfen die Figuren aneinander an, bringen ihre Standpunkte vor, sie kommen außer Atem, genau wie der Zuschauer.

Die Gäste des Hausherrn sind Vertreter einer elitären Gesellschaftsordnung, die kein reines Phänomen der Zeit ist, sondern noch heute, in verschiedenen Formen, besteht. Das ist eine der Aussagen des Films. Während die einen Zeit haben, zu denken, zu reden, brauchen sie die anderen, die Bediensteten, die arbeiten, sich fügen, sich begnügen mit der Stellung in der zweiten Reihe. Um die Berechtigung in der Gesellschaft eine dominierende Rolle zu übernehmen, geht es auch ganz konkret in den Diskussionen der Charaktere. Erstaunlich vertraut wirken die Gedanken, die Edouard zum Thema europäischer Zusammenhalt zum einen und der Überlegenheit einer weißen, westlichen Menschenart über alle anderen zum anderen, äußert. Universell sind auch die anderen Diskussionen über die Natur des Krieges und das Gewicht der Religion. Umfangreich ist die inhaltliche Anregung die der Film bietet.

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