„Nymphomaniac Vol. I“ von Lars von Trier


Foto: Zentropa

„Nymphomaniac“: Tod,Verlust und Begehren sind eng miteinander verknüpft. Foto: Zentropa

Spektren des Extremen

Es sieht immer anders aus und doch irgendwie gleich. Die Augen sind geschlossen, der Mund ist weit geöffnet. Ein Antlitz des Kontrollverlusts, ein Ausdruck, in dem sich Loslösung und Ekstase sonderbar mit dem Anschein von Schmerz und Verzweiflung vereinen. Der Orgasmus ist der kleine Tod, ein Zeitfenster von wenigen Sekunden, in dem das Alles rauschhaft ins Nichts kollabiert.

Sie alle haben ihren kleinen Tod, schon lange bevor „Nymphomaniac Vol. I“ im Kino gezeigt werden sollte, auf großen Plakatwänden der Öffentlichkeit überstellt: Christian Slater, Shia LaBeouf, Uma Thurman und allen voran Charlotte Gainsbourg und Stacy Martin. Die Frage ist dabei nicht, ob diese Gesichter auf dem Zenit der Lust echt sind. Die Frage ist auch nicht, ob Lars von Trier die Massen mit voyeuristischen Starportraits ködern wollte. Die Frage ist, was nach diesem Bild kommt.  Bei den meisten folgt tiefe Zufriedenheit und Entspannung. Der Mund schließt sich wieder, die Augen öffnen sich. Bei einem nymphomanisch veranlagten Menschen ist das anders. Der Ausdruck verschwindet zwar kurzfristig, doch seine Implikationen sind immer noch da.

Joe (Charlotte Gainsbourg) liegt blutüberströmt in einem verregneten, heruntergekommenen Hinterhof. Ein älterer Mann namens Seligman (Stellan Skarsgård) liest sie vom Boden auf, nimmt sie mit nach Hause, packt sie in ein warmes Bett und bringt ihr eine Tasse Tee. Joe beginnt zu erzählen. In fünf Kapiteln beschreibt sie ihren unstillbaren Hunger, ihre inflationären Bettgeschichten, ihr familiäres Trauma und die Schäden, die sie ihrer Umgebung zugefügt hat.

Was genau ist nun Nymphomanie? Die Unstillbarkeit des sexuellen Triebes? Der innere Zwang zur immer wiederkehrenden, aber nie abschließenden Ekstase? Oder die Kompensation der Abwesenheit von Liebe? Im Falle von Joe ist es ein endloser Strom an Selbstschuldzuweisungen. Schon als junge Frau (Stacy Martin) lernte sie, Männer für ihre sich stetig steigernde Sucht zu manipulieren. Das sei so einfach. Ein gut platzierter Blick und ein vielsagendes Lächeln reichen meistens schon. Dass ihre zahlreichen Männerbekanntschaften ebenso von der Simplizität dieses Verfahrens profitiert haben, blendet sie aus. Für sie steht im Mittelpunkt, dass ihre Handlungen sie eindeutig als Sünderin klassifizieren.

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