„Der Kapitän und sein Pirat“ von Andy Wolff


"Der Kapitän und sein Pirat": eine stille Anklage an eine Welt, Foto: DOK Leipzig 2012

„Der Kapitän und sein Pirat“: eine stille Anklage an eine Welt, Foto: DOK Leipzig 2012

Grenzen der Schuld

Im April 2009 entführen Piraten vor der Küste Somalias das Containerschiff Hansa Stavanger. Dessen deutsche Reederei weigert sich standhaft, der Lösegeldforderung der Entführer nachzukommen. Über vier Monate verbringt die Crew als Geiseln der Piraten. Eine Extremsituation für die Besatzung der Hansa Stavanger und deren Kapitän Krzysztof Kotiuk. Seinem Schicksal und dem seines Gegenspielers, dem Anführer der Piraten, gehen die Regisseure Stefanie Brockhaus & Andy Wolff nach. Sie zeigen einen traumatisierten, traurigen Kotiuk und den Piratenkapitän in deren Welten. Sie beleuchten die Qualen, die Kotiuk und seine Crew erleiden musste und schenken gleichzeitig dem Somalier Gehör, der erklärt, wie ihn das harte Leben in Mogadischu zu dem machte, was er ist.

Keine Spur von strahlenden Piraten, wie ihn Burt Lancaster in „Der rote Korsar“ gab oder später Captain Jack Sparrow, den Johnnie Depp im „Fluch der Karibik“ zum Kultcharakter machte. Die Realität, in der sich die Protagonisten in „Der Kapitän und sein Pirat“ behaupten müssen, schreibt eine Geschichte weitab der Filmheroen. Es geht um Recht und Unrecht zwischen Welten, die sich so weit von einander entfernt haben, dass es schwer fällt, einen geeigneten Ort zu finden, an dem Justizia ihre Waage aufstellen könnte.

Die Wahl der Perspektive, aus der über Gerechtigkeit sinniert wird, überlassen die Macher dem Publikum und wählen einen anderen Fokus. Was die Doku so sehenswert und interessant macht, ist die von gegenseitigem Respekt geprägte Beziehung der beiden Antagonisten. Die beiden unterschiedlichen Männer übernehmen die Führung für die ihnen unterstellten Männer und vertreten deren Interessen gegenüber der anderen Partei. Ein Umstand, der Kotiuk in Nöte bringt. Einerseits muss er Todesängste durchstehen, wenn ihm die Piraten die Waffe an den Kopf halten, andererseits unterstellt ihm seine Besatzung eine zu große Nähe zu „seinem Pirat“. Er unterstütze deren Erpressung mit Rat und Tat, anstatt ein schnelles Ende zu forcieren.

Im Entführungsfall Hansa Stavanger prallen erste und dritte Welt aufeinander. Anhand des ungewöhnlichen Verhältnisses der beiden Protagonisten formulieren die Regisseure im Subtext ihrer Dokumentation eine stille Anklage an eine Welt, die das zulässt. Moral und ihre Grenzen stehen ebenso wie das Rechtsempfinden auf dem Prüfstand. Die Bewertung des Sachverhalts, wer den nun Täter und wer Opfer ist, überlässt der Film den Zuschauern.

Denis Demmerle