„Du musst dein Ändern leben“ von Benjamin Riehm


Blick auf den Neuköllner Klunkerkranich und sein Entstehen in "Du musst dein Ändern Leben". (c) Noise Film

Blick auf den Neuköllner Klunkerkranich und sein Entstehen in „Du musst dein Ändern Leben“. (c) Noise Film

Eine Wahlfamilie lebt ihre Visionen

Ein Autobus wird gehoben, der Blick fällt aus der Kabine in die Tiefe. Die Umgebung wechselt ihr Aussehen – der Kran schwenkt und steigt höher. Unter dem Fahrzeug: eine Neuköllner Seitenstraße gesäumt von grünenden Bäumen und Altbauten. Der Bus setzt auf dem obersten Deck eines Parkhauses auf. Wow.

Mit dieser eindrucksvollen Perspektive leitet Benjamin Riehm seine Dokumentation ein. Dazu kredenzt er Definitionsversuche zum Thema Fantasie, die Stimmen aus dem Off hervorbringen. Die interessanten Ansätze stammen aus dem Freundeskreis von Yosh, Dorle, Alexei, Julian und Dorian. Diese fünf bilden das Fundament, auf dem einmalige Projekte wie der „Klunkerkranich“ errichtet sind.

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Angefangen hat alles mit Dorles Wohnprojekt in der Weserstraße, das bis heute als Hauptquartier des Kollektivs dient: Leute mit gleichen Visionen fanden sich, erschufen in Wohnung und Hinterhof ihre private Oase. Die Mitbewohner stellt der Film gleich zu Beginn vor, ebenso wie ihren familiären Umgang miteinander. Neben ihrer Wohnung gab es noch mehr Platz im Vorderhaus zur Verfügung. Was soll man damit nur anstellen? Na klar, eine Bar eröffnen – das „Fuchs und Elster“ war geboren, ein ungeplantes Kind aber eines, das jeder umso mehr ins Herz geschlossen hat.

Die Dokumentation stellt chronologisch die Projekte von Yosh, Dorle und Co vor, die auf die beliebte Bar in der Neuköllner Weserstraße folgen. Als Dorian damals zur Gruppe gestoßen ist, war es ein großes Glück. Er hat das oberste Parkdeck jahrelang als Rückzugsort genutzt und sich dort oben stets gefragt, wie man aus dem verwaisten Ort etwas Neues erschaffen kann. Gemeinsam mit Yosh und den anderen war schnell eine Vision geboren: eine Bar, ein Ort für Kunst und Kultur.

Auch wenn der „Klunkerkranich“-Besucher geneigt ist, zu denken, dass so eine Dachbar in Neukölln eine fix zusammen geschusterte Sache ist, die die Betreiber nebenbei schmeißen, steckt hinter dem Projekt harte Arbeit und eine liebevolle Umsetzung von Visionen. Hinter den Kulissen läuft alles viel organisierter ab, als der lässige Freundeskreis vermuten lässt. Wie in jedem Unternehmen, finden sich auch hier Buchhaltung, Personalplanung, Aktenordner, Google Docs und Excel-Listen. Natürlich ist alles trotzdem ein wenig improvisiert – aber jeder übernimmt einfach Aufgaben nach seinem Wissen und Talent, das er mit allen anderen teilt. Do-it-yourself lautet die Devise – im Büro wie beim Holzbretter verlegen. In dieser Wahlfamilie lernen alle voneinander, wie in einer echten Familie auch. Und sogar „Eltern“ gibt es – Dorle und Yosh bilden als Pärchen den Ruhepol der Gruppe.

Bei all den positiven Bildern, verheimlicht der Film die Rückschläge nicht. Als der „Kranich“ erstmals die Pforten für „48h Neukölln“ 2013 öffnet, beklagen Anwohner den Lärm. Die offizielle Eröffnung einige Wochen später scheitert beinahe an der Bürokratie und den behördlichen Anordnungen. Zuletzt droht die Trennung von Dorle und Yosh, die Gruppe und ihre Projekte zu kippen. Die Message bleibt aber genauso stark wie die Charaktere dahinter – wir machen weiter und bekommen das gemeinsam hin.

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