„Love and Peace“ („ラブ&ピース“) von Sion Sono


Doch bis dahin ist es ein weiter Weg und Ryoichi, der für seinen neuen Freund im Büro gnadenlos ausgelacht wird, entsorgt schließlich schweren Herzens seine geliebte Schildkröte im Klo. Wie durch ein Wunder strandet “Pikadon” in den Untiefen des Tokioter Abwassersystems auf einer Art Insel der Versehrten und wird von einem sympathischen alten Obdachlosen, der so etwas wie ein unterirdisches Hospiz für verlassene Puppen, Spielsachen und Kuscheltiere betreibt, aufgenommen. Liebevoll kümmert sich der wunderliche und immer leicht beschwipste Alte um die sprechenden Kreaturen und versorgt sie mit zauberhaften Wunderpillen. Eine davon verleiht “Pikadon” die Fähigkeit Wünsche wahr werden zu lassen. Trotz der gewaltsamen Trennung von ihrem Besitzer in ihrer Liebe zu ihm ungebrochen, erfüllt sie Ryoichi nach und nach seine Wünsche und der Traum vom ausverkauften Olympiastadion rückt in greifbare Nähe. Die Wünsche werden jedoch immer größer und größer und für jeden in Erfüllung gegangenen Wunsch wächst die Schildkröte jedes Mal ein Stückchen weiter bis sie schließlich bombastische Ausmaße annimmt.

Mühelos gelingt Hiroki Hasegawa („Shin Godzilla“ und „Attack on Titan„) die Metamorphose vom in sich zusammen gesunkenen Außenseiter zum arroganten Glitzereinteiler tragenden One-Hit-Wonder „Wild Ryo“ mit Star-Allüren. Und auch wenn der Film zeitweilig Erinnerungen an Disneys „Toy Story“ weckt, märchenhafte Weihnachtsszenen mit erstem Schneefall inklusive und dem Friedhof der Kuscheltiere und ihren berührenden Einzelschicksalen viel Raum eingeräumt wird, so läuft der Film doch nie Gefahr in Zuckerwatte zu ersticken. Zu heruntergerockt und zynisch sind diese armseligen Kreaturen (der kaputte Roboter mit Alkoholsucht erinnert sicherlich nicht ganz zufällig an Futuramas Bender), zu gekonnt amateurhaft kopiert der Film den zarten Retro-Look der japanischen sogenannten „Kaiju“ Monsterfilme, zu ironisch sind die Seitenhiebe auf die Funktionsweisen der Popmusik-Industrie, wo aus Ryoichi’s kleinem Lied über den Verlust seiner Schildkröte durch ein Missverständnis schließlich ein die Nation vereinigender Anti-Kriegs-Hit wird, der der Plattenfirma eine gute Portion moralisches Greenwashing beschert und praktischerweise auch noch von der politischen Kontroverse um den wirtschaftlichen Nutzen oder Unnutzen der Olympischen Spiele in Tokyo 2020 ablenkt.

Untermalt von einem pop-rockigen Soundtrack bietet „Love and Peace“ – Sion Sono schrieb den gleichnamigen Titelsong des Films übrigens selbst – feinste Unterhaltung für die ganze Familie und vereint gekonnt Musical-, Puppen-, Weihnachts- und Monsterfilm ohne dabei auch nur eine Minute zu langweilen. „Love and Peace“ kommt zwar augenscheinlich zunächst als zauberhaft absurdes Märchen daher, verpackt seine scharfe Kapitalismuskritik jedoch in einen großen Beutel Konfetti, der in einem bombastischen Finale genüsslich über Tokio ausgeleert wird. Wie passend zur Weihnachtszeit.

Tatiana Braun

Love and Peace„, Regie: Sion Sono, DarstellerInnen: Hiroki Hasegawa, Kumiko Aso, Toshiyuki Nishida

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