„Parasite“ von Bong Joon-ho


Für kostenloses Internet kriechen Ki-jung (Park
So Dam) und ihr Bruder Ki-woo (Choi Woo Shik) in „Parasite“ von Regisseur Bong Joon Ho in die entlegensten Ecken ihrer Behausung. © Koch Films

Die Parasiten der Gesellschaft

„Auf das Wlan!“, ruft heiter der Familienvater, hebt die Bierdose und seine Frau, sein Sohn und seine Tochter stimmen fröhlich ein. Die Familie ist eine Gruppe von Lebenskünstlern, sie wohnen in einem unterirdischen Verschlag mit einem einzigen Fenster auf der Höhe der Bordsteinkante. Ihre Zukunftsperspektive ist nüchtern, für sie scheint sich keiner zu interessieren, genauso wenig wie für viele andere Familien in derselben Lage wie sie, die sich mit schlecht bezahlten Aushilfsstellen über Wasser halten – und dies auch nur bis zum nächsten heftigen Regenfall, der alles überschwemmt. Sie haben gelernt, sich das zu nehmen, was sie brauchen, ohne etwas dafür bezahlen zu müssen und auch ohne zu fragen. So warten sie, bis im Quartier großflächig Ratengift gespritzt wird, lassen das Fenster offen und bekämpfen damit auch ihr Ungeziefer. Oder nutzen das Internet der Nachbarn, auch wenn sie dafür zusammengekrümmt auf der Toilette sitzen müssen. Man könnte ihre Lebensform ein Stück weit als parasitär bezeichnen, doch ist es fürs Überleben unentbehrlich, sich zu helfen zu wissen.

Die Gesellschaft und ihre Dynamiken stehen in allen Filmen des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon-ho im Mittelpunkt seines Interesses. Auch in „Parasite“ geht es in erster Linie um den vermeintlich „einfachen“ Mann oder die „einfache“ Frau, denen Ungerechtigkeit widerfährt und die für ihr Recht immer nur selbst in die Arena steigen müssen, denn auf ihrer Seite ist sonst niemand. Der Unterschied zwischen den sozialen Klassen spielt eine wesentliche Rolle in Bongs Argumentation, wobei er selbst für die unteren Schichten Partei nimmt. Mit den Mitteln der exaltierten, schnelllebigen Komödie gemischt mit den Spannungselementen eines Kriminalfalls erzeugt er Sozialdramen, deren moralisierender Gehalt hinter dem Unterhaltungsfaktor zurückbleibt. Bong selbst wiederholt oft gerne, dass ihm genau das, die Unterhaltung des Publikums, wichtigstes Anliegen sei. „Parasite“ vermag dies auch über die Länge von über zwei Stunden durchaus.

Ein Grund zu Feiern: Ki-jung (Park So Dam) ist sehr beliebt in der Familie Park (Lee Sun Kyun, Cho Yeo Jeong). © Koch Films

Der Film erzählt von Menschen, die stellvertretend für die ärmsten des Landes stehen, es geht hier zum einem um die Betrachtung der Verhältnisse, zum anderen um eine potentielle Rebellion, in gewisser Weise um Vergeltung. Seit seiner Premiere und der Verleihung der Goldenen Palme beim Festival in Cannes ist „Parasite“ gleichermaßen der Liebling der Kritiker und des Publikums, wird inoffiziell als „Film des Jahres“ gehandelt und verspricht auch zum deutschen Kinostart, weiter erfolgreich zu bleiben. In Korea, dem Heimatland des Regisseurs, wurde er ebenfalls zum Klassenschlager, man ist stolz auf die ausländische Auszeichnung. Koreanische Cineasten irritiert sein Erfolg allerdings spürbar, erachten viele Bong nicht als das Genie als das ihn das Ausland wahrnimmt.
Mit diesem Wissen im Hinterkopf fällt es leichter, „Parasite“ angesichts der bisher einstimmig begeisterten Kritiken zu besprechen. Denn die Schwächen des Films sind eigentlich offenkundig. War Bongs Vorgängerfilm „Okja“ inhaltlich, inszenatorisch und selbst schauspielerisch eine absolute Bruchlandung, mit dem Bong die Qualität, Intensität und Relevanz seiner vorherigen Filme koreanischer Produktion („Barking Dogs Never Bite„, „Mother„, „The Host„, „Memories of Murder„) nicht wieder erreichte.

Die Geschichte von „Parasite“ lässt sich kurz zusammenfassen: Durch einen glücklichen Zufall bekommt die oben beschriebene Familie die Gelegenheit, für eine wohlhabende Familie zu arbeiten – allerdings unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Den ersten Schritt macht der Sohn, der als Englischlehrer für die Tochter aus gutem Hause fungieren soll. Da er keinen Universitätsabschluss hat, bastelt er sich selbst einen. Durch geschickte Manipulation und dank einer gewissen Skrupellosigkeit findet einer nach dem anderen seine Aufgabe bei der reichen Familie. Alles scheint perfekt, als die Mutter schließlich die Stelle der Haushälterin ergattert. Doch der Plan greift weiter. Der Gedanke kommt auf, dass sie, die „armen, benachteiligten“ der Gesellschaft eigentlich genauso viel Recht hätten, um so zu leben wie die Reichen. Sie richten sich im neuentdeckten Wohlstand unbeobachtet ein, indem sie sich unentbehrlich machen. Dies wiederum bestärkt die Familie im Glauben, dass sie eigentlich die sind, die es verdienen würden, so zu leben, denn sie sind die intelligenteren, die schließlich genauso hart für den Wohlstand gearbeitet hätten. Doch so schnell wie der neue „Wohlstand“ kam, droht er wieder zu entgleiten, denn einige Punkte entziehen sich der Kontrolle der Familie.

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