„The Killing Of A Sacred Deer“ von Giorgos Lanthimos


Von hier an entwickelt sich ein psychologisches Horrorspiel der düsteren Art, in dem die Figuren sich zunehmend voneinander entfremden und konstant aneinander vorbeireden. Die professionellen Schauspieler rattern ihre Dialoge bewusst emotionslos und ohne einen direkten Situationsbezug herunter, was bezweckt, dass die sich langsam und bedrohlich entfaltenden Gewalttaten umso kurioser und fremdartiger erscheinen. Lanthimos erschafft eine immersive filmische Erfahrung, die in erster Linie Ratlosigkeit und Irritation auslöst. Irgendwie scheint er das allzu perfekte Bild der Familie und ihrer Rollenbilder dekonstruieren zu wollen. Anscheinend verbirgt sich unter der Oberfläche eine Metaphorik über Schuld und Sühne. Denn wie sich herausstellt, ist Steven möglicherweise Verantwortlich für den Tod von Martins Vater, da dieser bei einer Herzoperationen unter seinen Händen verstorben ist.
Der Filmemacher verweigert sich jedoch jeglicher eindeutiger Ansätze zur Entschlüsselung und liefert keine rationalen Antworten auf die mysteriösen Vorgänge. So bleibt stetig die Frage im Raum stehen: Was genau will er eigentlich mit seiner symbolgeladenen Geschichte erreichen? Wie bereits in seinem Durchbruchsfilm „Dogtooth“ kostet er die Missstände und gewaltvollen Akte dieser Familiengeschichte genüsslich aus, ohne eine Erklärung für das Gezeigte zu liefern. Dadurch ergibt sich keine moralische oder medienkritische Reflexion wie in Michael Hanekes ganz ähnlich gelagerter, brutaler Versuchsanordnung „Funny Games„.

Vielmehr ist „The Killing Of A Sacred Deer“ eine bitterböse und komische Tortur, die auf ähnliche Weise wie Darren Aronofskys umstrittenes Werk „Mother!“ funktioniert. Auch hier erleben wir eine wilde Achterbahnfahrt durch die Abgründe der menschlichen Psyche, die einer genauen Analyse nur wenig standhalten kann. Doch sie lässt sich als spannender Psychothriller mit übernatürlichen Elementen und einer großen Portion bösartigen Humors genießen, bei der der Zuschauer sich niemals sicher sein kann, ob es nun angemessen sei, laut zu lachen.

Henning Koch

The Killing Of A Sacred Deer„, Regie: Giorgos Lanthimos, DarstellerInnen: Colin Farrell, Nicole Kidman, Barry Keoghan, Alicia Silverstone, Kinostart: 28. Dezember 2017

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