„The Salesman“ von Asghar Farhadi


Die psychologische Überforderung des Paares angesichts dieser Situation spiegelt sich filmisch in sehr verschachtelt wirkenden Innenräumen wider: Bühnenbild, Treppenhaus und Tiefgarage werden zu Chiffren der zunehmenden Entfremdung zwischen Rana und Emad. Die Architektur der Wohnung erschließt sich nur schwer und auch die Außenwelt wird vor allem nur im Blick durch das Fenster sichtbar.

In einer von Verboten geprägten Gesellschaft, wie wir sie im heutigen Iran vorfinden, gewinnt das Private an Bedeutung, umso schlimmer ist es, wenn dieses durch ein Eindringen von Außen empfindlich gestört wird.
Das, was nicht laut gesagt werden darf, äußert sich in vielsagenden Blicken: im stillen Vorwurf der Nachbarn, dem stummen Mitleid der Schauspielkolleginnen und entfaltet sich schließlich auch im voyeuristischen Blick des Publikums im doppelten Sinne – in dem des Theaterpublikums im Film und des tatsächlichen Filmpublikums. Aber ist es wirklich nur die von außen eingedrungene Aggression, die in Emad, dem eigentlich besonnenen Intellektuellen, solche archaischen Rachegelüste im Sinne eines biblischen „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ weckt? Und wieso rollt sich die selbstbewusste, starke Rana ein in der Lethargie ihrer Opferrolle?

Restriktive politische Systeme funktionieren vor allem über strenge Kategorisierungen, die Verunsicherung und dank einer mehr oder weniger willkürlichen Zensur: Das Individuum wird gezwungen, in der Öffentlichkeit eine Maske zu tragen, ein systemkonformes Selbst zu präsentieren und seine wahren Gefühle zu verstecken. Die Öffentlichkeit wird zur Theaterbühne, Individuen zu Schauspielern mit fest vorgeschriebenen Rollen. Auf psychologischer Ebene sind die Folgen solcher gesellschaftlichen Systeme für das Individuum und den menschlichen Zusammenhalt sicherlich nicht unerheblich, Misstrauen und Argwohn können nachhaltigen Schaden anrichten und emotionale Rohheiten zutage treten lassen.

The Salesman“ ist ein bis zum Ende hin spannend erzähltes, psychologisch fein konstruiertes Drama über Schuld und Vergeltung, Scham und Gesichtsverlust, aber auch von gesellschaftlichen und moralischen Klassen- und Geschlechtsunterschieden.

Weiterlesen: Unsere ausführliche Kritik „Schuld und Sühne“ zu „Le Passé – Das Vergangene“ von Asghar Farhadi…

Der vielfach preisgekrönte iranische Regisseur gilt als ein Meister des Beziehungsdramas und des leise erzählten zwischenmenschlichen Konflikts. 2009 erhielt er in Berlin den Silbernen Bären für die beste Regie für sein psychologisches Gesellschaftsdrama „Alles über Elly„, bei dem übrigens auch Taraneh Alidoosti in der Hauptrolle zu sehen war. „Nader und Simin – Eine Trennung“ wurde 2011 mit dem Goldenen Bären und einem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet. Sein französischer Film „Le passé – Das Vergangene“ brachte ihm dann 2013 seine erste Einladung zu den Filmfestspielen in Cannes ein, mit „The Salesman“ war er dann in diesem Jahr zum zweiten Mal dort vertreten und gewann gleich den Preis für das beste Drehbuch. Shahab Hosseini wurde für seine Rolle des Emad mit dem Preis als bester Hauptdarsteller geehrt.
Auf dem Filmfest München wurde „The Salesman“ gerade erst mit dem Arri/OSRAM Award für den besten ausländischen Film ausgezeichnet.

The Salesman“ ist nicht nur ein großartig gespieltes und packend erzähltes psychologische Porträt eines Zwischenfalls und seiner weitreichenden Folgen für das persönliche Schicksal seiner Protagonisten, sondern auch eine stille Anprangerung eklatanter sozialpolitischer Missstände im heutigen Iran.

Tatiana Braun

The Salesman“ (im Original: „Forushande„), Regie: Asghar Farhadi, DarstellerInnen: Shahab Hosseini, Taraneh Alidoosti und Babak Karimi. Kinostart: 2. Februar 2017

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