„Toni Erdmann“ von Maren Ade


https://youtu.be/d2fSCvFx4V4
Sie könnten ja mal ganz lange skypen, wenn sie wieder in Bukarest sei, schlägt Ines ihrem Vater zum Abschied vor. Stattdessen kommt der Vater sie jedoch kurzerhand und ganz spontan in Bukarest besuchen, wo sie mit ihrer Consulting-Firma an der Optimierung irgendwelcher Business-Prozesse arbeitet, um mal zu sehen, wie es der werten Tochter so geht. Ein wenig überfordert von dem unerwarteten Besuch, nimmt Ines ihren Vater zu einem wichtigen Empfang mit, wo er mit seinem schrägen Humor und dem alternativen Kleidungsstil auch ganz gut ankommt, während Ines sich mit all ihrer eiskalten Professionalität und emotionslosen Kompetenz in dieser Männerwelt, in der die Männer nur unter sich bleiben und die Frauen zum Schuhe-Kaufen schicken wollen, zu behaupten versucht. So etwas wie eine ausgeglichene Work-Life-Balance gibt es in Ines’ Leben nicht, der Job ist ihr Leben. Selbst der gemeinsame Ausflug ins Wellness-Bad endet jäh, als sie zum Shopping-Termin mit der Frau eines wichtigen Kunden abberufen wird. Einmal fragt Winfried sie, ob sie denn glücklich sei. Eine Frage, die sie ihm mit all ihrer kontrollierten Aggressivität zurück wirft und die er selbst so nicht beantworten kann.

Dass der Vater seiner Tochter zum Geburtstag eine Käsereibe schenkt, verdeutlicht nur, dass hier zwei Menschen aufeinander treffen, die eigentlich nicht viel zu verbinden scheint – außer der Zufälligkeit ihrer Blutsverwandtschaft. Nach einem von Ines’ Terminen zerpflücken Wochenende reist der Vater wieder ab.

Und erscheint kurze Zeit später wieder, ausgestattet mit Anzug, schlecht sitzender, dunkel-rötlich schimmernder Perücke, Idiotengebiss und Furzkissen. In diesem absurd-dilettantischen Aufzug erinnert er an eine Kreuzung aus Horst Schlämmer und Helge Schneider. Er nennt sich fortan Toni Erdmann und Anarchie ist sein Programm. Getarnt abwechselnd als Business-Coach oder deutscher Botschafter taucht er fortan überall dort auf, wo Ines sich aufhält. Es beginnt eine Nonsense-Operette vom Feinsten und Toni Erdmann ist ihr Dirigent.

Zunächst schockiert und irritiert von dieser neuen Ebene des väterlichen Spaßzwangs, versucht Ines ihm zunächst aus dem Weg zu gehen und ihren Vater zur Vernunft zu rufen, sucht jedoch nach und nach immer wieder seine Nähe, schleift ihn mit in die Disko und zum Fabrikbesuch ins rumänischen Outback. Irgendwann kulminiert dies in eine irgendwie ultrapeinliche Szene, in der Ines zur musikalischen Begleitung ihres Vaters vor einer vollkommen unbekannten rumänischen Großfamilie einen Song von Whitney Houston zum Besten gibt, einen haarigen Zwischenfall und ein finales Teambuilding-Event, das die ultimative Befreiung von allen Zwängen zelebriert und dabei nicht nur die teilweise mehr als zweifelhaften tribalen Bräuche der so genannten Banker- und Business-Kaste karikiert, sondern in Sachen filmischer Situationskomik einen absoluten Höhepunkt darstellt.

An keiner Stelle wirken die Dialoge künstlich, die Komik gestellt oder aufgesetzt, alles was passiert, erscheint zu jedem Zeitpunkt echt und aus der jeweiligen Situation heraus glaubwürdig. Dies gelingt durch die filmisch reduzierte Form: In den unaufgeregten, relativ schnörkellosen und mit Handkamera aufgenommenen Bildern, aber auch dem natürlichen Spiel des Duos Hüller-Simonischek entsteht ein sehr realistisches, extrem witziges Bild der beiden Hauptfiguren, ohne diese je vorzuführen. Ade zeigt sich hier, wie schon bei „Alle Anderen„, als eine aufmerksame Beobachterin menschlicher Interaktionen und Beziehungsgeflechte sowie als virtuose Erzählerin, der es gelingt, die schweren Lebensthemen mit Leichtigkeit und Humor anzugehen ohne in Plattitüden zu verfallen.

Vater und Tochter finden über die Figur des Toni Erdmann irgendwie wieder zueinander. Die Maskerade hilft den beiden, sich aus alten Rollenmustern zu befreien, um sich gereift gegenüber zu stehen – so reif man eben aussieht, wenn man ein falsches Gebiss und eine eigenartige Kopfbedeckung trägt. Dem Film ist hoch anzurechnen, dass dies geschehen darf und zwar mit so etwas wie Respekt für die Entscheidungen des jeweiligen Gegenübers, Verständnis für den jeweils gewählten Lebensstil und eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach dem Sinn des Lebens.

Neben diesem Generations- und Weltanschauungskonflikt gelingt es Maren Ade noch so ganz nebenbei sozialkritische Aspekte einfließen zu lassen und das Gefälle zwischen einer geschäftstreibenden, global agierenden Klasse, die letztendlich für die Bereicherung von ein paar Wenigen, die Verarmung von sehr, sehr vielen auf lokaler Ebene in Kauf nimmt, zu thematisieren. Gleichzeitig offenbart sie die hypokritische Haltung der Alt-68er, die letztendlich diese Entwicklung des entfesselten Kapitalismus mit hervor gebracht oder zumindest nicht verhindert haben und genauso Teil dieses Konsum- und Wirtschaftssystems sind. Es geht auch um die Entlarvung des in einer männerdominierten Arbeitsumgebung vorherrschenden Sexismus, der einer jungen Frau, wenn sie mit einem älteren Mann als Kollegen, wie dämlich dieser mit seiner Perücke und dem falschen Gebiss auch aussehen mag, immer noch mehr Glaubwürdigkeit zugesteht, als wenn sie alleine für sie spricht und einsteht.

Und es geht um das, was Kino kann und soll: „Toni Erdmann“ zeichnet ein präzises, heiteres, wildes, absurdes und doch so realistisches Bild unserer Zeit.
Maren Ade und ihren grandiosen Schauspielern Sandra Hüller und Peter Simonischek gelingt es in diesem Film vieles zu übertreffen, was bisher im Bereich des (deutschen) Films da gewesen ist.

Tatiana Braun

Toni Erdmann„, Regie: Maren Ade, DarstellerInnen: Sandra Hüller, Peter Simonischek, Michael Wittenborn, Thomas Loibl, Trystan Pütter, Hadewych Minis, Lucy Russel, Ingrid Bisu u.a. Deutscher Kinostart: 14. Juli 2017

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