WINTERSCHLAF („KIŞ UYKUSU“) von Nuri Bilge Ceylan


Nuri Bilge Ceylan gewann mit "Winterschlaf" in Cannes die Goldene Palme. © Zeyno Films

Nuri Bilge Ceylan gewann mit WINTERSCHLAF in Cannes die Goldene Palme. © Zeyno Films

Das Ich und die Anderen

Als Nuri Bilge Ceylan am 24. Mai 2014 in Cannes die Goldene Palme für seinen Film WINTERSCHLAF entgegen nahm, widmete er seinen Preis „den jungen Menschen in der Türkei und denjenigen, die im vergangenen Jahr ihr Leben verloren haben“. Wohl gewählte Worte, die ohne offensiven Affront doch ihre Kritik deutlich machten. Ähnlich funktionieren auch die Filme des Regisseurs. Leise aber deutliche Töne treffen auf subtil komponierte Bilder, in denen sich alltägliche Wirklichkeiten fast stilllebenartig formulieren. Für Ceylan selbst ist es ein Weg wie er sagt, „durch künstliche Elemente Wahrheiten zu erzählen“. In WINTERSCHLAF sind es Wahrheiten um das komplexe Geflecht menschlicher Beziehungen.

Eitelkeit, Dominanz, Einsamkeit, Wut, Verzweiflung, Erniedrigung und Liebe prägen die Verbindung unter den Menschen in einem Dorf inmitten der malerischen Berge der Kappadokien. Zentrum dieses kleinen Mikrokosmoses ist Aydin (türk. = Intellektueller), ein ehemaliger Schauspieler, der in dieser wahrlich märchenhaften Landschaft, wo die Häuser bienenwabengleich direkt in den Stein geschlagen sind, ein Hotel betreibt. Der Chef des Hauses zählt zu den Gewinnern der Gesellschaft. Er ist ein Mann, dem Existenznöte fremd sind, der große Stücke auf sein misanthropes Weltbild und auch ganz grundsätzlich auf seine Meinung hält. Die formuliert er nahezu täglich und fast immer mit unterschwellig spöttischem Ton in seiner Lokalzeitungskolumne. Nach außen gibt er den väterlichen Schöngeist und ist doch erbarmungslos. Er ist ein, wie seine Frau sagt „unausstehlicher Mann“. Einem König gleich regiert er seine Welt, wenn auch mit eher leisem Ton.

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Er ist wohl kein schlechter Mensch, nur einer, der verdammt vollgesogen ist von seinem Selbst und es nie gelernt hat, andere zu sehen oder überhaupt fern von seinen Vorurteilen wahrzunehmen. Jeder andere Planet in diesem Universum hat sich seinen Wünschen und Ansprüchen unterzuordnen. Keiner von ihnen will zu Aydin auf Konfrontationskurs gehen. Doch das gelingt nicht. Seine um etliche Jahre jüngere Frau Nihal ist eines der Himmelsgestirne, das um ihn herum kreist. Sie lebt mit ihm und seiner Schwester Necla gemeinsam unter einem Dach im Hotel. Verzweifelt versucht Nihal, die glaubt, ihre Jugend und damit ihre besten Jahre an Aydin verschwendet zu haben, eine sinnstiftende Aufgabe zu finden und unterstützt mit einem Charity Projekt die langsam zerfallenen Schulen. Doch Aydin, der ihr Engagement überheblich belächelt, ist ihre Arbeit ein Dorn im Auge.

Das Drama nimmt seinen Lauf, als Iljas, der Neffe des Dorfimam, einen Stein gegen Aydins Auto schleudert. Der Zuschauer, der zunächst glaubt, dies sei ein boshafter Jungenstreich, wird schon bald eines besseren belehrt und schaut bereits nach wenigen Augenblicken in menschlich soziale Abgründe.

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