Berlinale aktuell: Interview mit Panorama-Sektionsleiter Wieland Speck
„Film will ran ans Publikum – sonst ist er kein Film.„
Wenige Tage vor Beginn der Berlinale trafen wir Wieland Speck, den Sektionsleiter des Panorama. Im ersten Teil unseres Gesprächs ordnet er „sein Programm“ ein, spricht über den Zusammenhang von Arthouse und Filmkritik und die Eigenheiten des Berliner Publikums.
Herr Speck, lassen sich am 2011er Panorama-Programm aktuelle Trends der Filmbranche ablesen?
Wieland Speck: Die Filme werden jünger und billiger, bringen aber die Qualität mit, die wir brauchen. Die Freude an Genre-Elementen bei Autoren. Große Kinofilme mit Genre-Ideen, Genre-Tempo und Genre-Geschmack, die aber Autorenfilme sind, wie Tamahoris „The Devils Double“ oder der Schauspielerfilm „The Guard“ aus Irland. Diese Filme machen Spaß. Sie sind Kino ohne Kino-Maschine dahinter. Gelernt von Vorbildern aus den 50er-, 60er-Jahren, als Genre entwickelt wurden. Dieses Jahr bestärkt den letztjährigen Trend, dass von großem Kino bis kleinem Independent-Kino alles dabei ist. Das zeigt auch der Wettbewerb.
Das Panorama steht für die Kunst im Berlinale-Programm. Wohin entwickelt sich das Arthouse-Kino?
Speck: Es ist vom Zeitgeist abhängig. Die letzten zwei, drei Generationen wollten professionell sein. Ein Produkt abliefern. Eine Denke, die sich Hollywood ein paar Jahre zu Nutze machte, die aber auch Wagemut und Kreativität killt. Jetzt wo Hollywood gestrauchelt ist, haben die anderen wieder eine Chance.
Hollywood ist gescheitert?
Speck: Zusammengebrochen ist das, was sich daraus entwickelt hat: Indie-Produktionen mit einem Star, finanziert mit dem Geld deutscher Zahnärzte. Dieses Produkt ist weg. Wir erleben einen interessanten Moment. Es gab auch noch nie so viele Stars wie heute. Jede Generation hat eine ganze Phalanx. Es ist heute nicht so einfach, all die Mädels auseinander halten können.
Fordert der Markt diesen Prozess?
Speck: Braucht der Markt wieder einen Schrumpfungsprozess, ist das Geschrei groß. Das erleben wir gerade. Wobei das Geschrei im Vergleich zu den letzten beiden Jahren verstummt ist. Die haben gemerkt, dass das nach hinten losgeht. Jetzt ist man bescheidener.
Ist das ein Moment, der dem Arthouse nützt?
Speck: Das würde ich sagen. Wir, die jedes Jahr mit der Formulierung der Messlatte beschäftigt sind, suchen den tollen Film, der für diese Zeit steht. Eine Aufgabe, die die Festivals mitleisten. Wir sehen viele wesentlich kleinere Filme, die diese Messlatte erreichen. Für uns ist das nichts Erschütterndes. Wir kommen ja da her. Das ist Festivaldenke. Wir als Berliner Filmfestival haben diese besonders schwierigen Filme besonders gern. Das kann man im Kanon mit Cannes und Venedig sagen.
Welche Rolle spielt die Filmpresse?
Speck: Wenn die Filme kleiner werden, brauchen wir wieder mehr Unterstützung der Presse, die auch ihr Auf und Ab erlebt. Wir fordern wieder mehr Platz und Raum für den Film in der Presse. Es müssen neue Koalitionen gebildet werden. Film will ran ans Publikum – sonst ist er kein Film. Vielleicht könnte die Kritik den Film derart unterstützen, dass der Verleih weitere zehn Kopien nachschießen muss. Der Aufbau des Erfolgs eines Films liegt doch in den Händen der Presse. Eine ihrer nobelsten Aufgaben.
Wobei Kopien nachschieben nicht alle Probleme löst, da…
Speck: … die Filme nicht mehr genügend Leinwände finden. Oder eher den Filmen die Zeit fehlt, um sich zu entwickeln. Hat ein Film nicht tausende Plakate an jeder Bushaltestelle, braucht er Zeit. Da muss man genau hingucken, um sich nicht selbst den Markt kaputt zu machen.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Speck: Man könnte dank der digitalen Projektionstechnik einen Film zehn Tage wieder und wieder einsetzen. Da sind noch keine neuen Dynamiken entwickelt. Alles funktioniert noch genau wie zu Zeiten der Filmkopien, wo alles ganz schwierig war. Rechte müssen anders eingesetzt werden. Vielleicht müssten Kinos das Recht erwerben, den Film X 45-mal zu spielen – egal wann. Auch die Bewerbung im Internet ist noch lange nicht da, wo sie sein könnte. Dort sollten nicht nur Schnipsel gezeigt, sondern eben auch auf Filme hingewiesen werden, die wiederkommen.
Zurück zum Panorama. Was macht einen Panorama-Film in Abgrenzung zu anderen Sektionen aus?
Speck: Bei uns überlappen sich die Sektionen an den Rändern. Es gibt eine Menge Filme, die überall laufen könnten. Es kommt darauf an, welcher Programmleiter sich wie entscheidet. Also eine individualisierte Entscheidung, eine Geschmacksfrage, die schwierig zu beschreiben ist. Da unser Festival aber so wichtig ist, so stark von Filmen frequentiert wird, die einen Platz im Festival suchen, ist diese persönliche Frage eine in der mittleren oder hinteren Reihe. Reise ich auf der Suche nach Filmen durch die Welt, stelle ich mir vor, ich sei in Berlin auf der Berlinale im Panorama-Kino und ich bin ein Festivaldirektor aus Melbourne, eine Pressefrau aus Frankreich und ein Berliner aus Friedrichshain. All diese Leute, die unser Publikum ausmachen. Zur Hälfte Profis, zur Hälfte Cineasten, von denen ein Drittel angereist, zwei Drittel Berliner sind.
Was erwarten die vom Panorama?
Speck: Es gilt diese Erwartungshaltung zu kennen, um sie zu erfüllen oder auch zu konterkarieren. So sitze ich da in meinen Rollen. Steigen die nacheinander alle aus und nur ich als Wieland Speck bleibe, ist es plötzlich ein Lieblingsfilm und ich weiß nicht, ob ich den ins Programm nehme. Das kann passieren, genau wie umgekehrt ich aussteige, aber die anderen in mir sitzen bleiben. So landen die Filme auf einer Liste, mit der ich das Programm bestücke.
Dem Berliner Publikum sagt man nach, sehr kritisch zu sein, besonders schwierige Filme gerne zu mögen…
Speck: Der Berliner will nicht überwältigt werden. Es gibt unheimlich viele Filme, die versuchen den Zuschauer anhand von Schnitt und Musik so einzuwickeln, dass er nicht mehr weiß, wo er sitzt. Das ist keine Methode, der sich die Berliner gerne aussetzen. Wobei sie tolerant sind. Als ein toller Film, wird auch ein mit Musik zugesülzter Film toleriert, wenn Story oder Darsteller super sind. Wird zuviel manipuliert, wendet sich das Berliner Publikum ab. Es gibt Sachen, die ich nicht zeigen möchte.
Im zweiten Teil des Gesprächs erfahrt ihr mehr darüber, wie Speck in seinen dreißig Jahren beim Panorama das Festival beeinflusst hat, wie er am Puls der Zeit bleibt und über die Rolle von Filmfestivals.