Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im Dezember

Crowdfunding ist eine andere Art von Stress


Am Tisch des Restaurant Luchs im Erdgeschoss des Designhotels Lux 11 begrüßte berliner-filmfestivals.de (BFF) Festivalleiterin Beatrice Behn vom International Comedy Film Festival, Regisseur Tom Lass („Papa Gold„), Anna Theil von der Crowdfunding-Plattform startnext.de und Daniel Saltzwedel vom Medienboard Berlin-Brandenburg zu „Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch“. Alle Gäste sind, wenn auch auf unterschiedliche Weise, mit Crowdfunding vertraut. Wenig verwunderlich, dass das erste Gesprächsthema am Rande des gemeinsamen Mittagessens schnell gefunden war. Neben der „Schwarmfinanzierung“, wie sich Crowdfunding übersetzen lässt, drehte sich der erste Teil des Gesprächs um Filme ohne Drehbuch, die Freiheit, die durch Crowdfunding entsteht und die Frage, wer denn die Unterstützer solcher Projekte sind…

Eine Einstiegsfrage stellte berliner-filmfestivals.de (BFF) jedem der vier: Wie könnte Crowdfunding euer Tun und Schaffen in Zukunft verändern?

Tom Lass: Es ist eine tolle Entwicklung, da das Crowdfunding dank des Internets eine neue Finanzierungsmöglichkeit ist. Aber Crowdfunding ist unheimlich viel Arbeit. Das ist fast so schwer, wie einen Film zu machen.

Beatrice Behn: Würdest du es noch mal machen?

Lass: Ja, aber anders. Uns hat diese Basis an Menschen, die man erreichen kann, gefehlt. Es gab keine Fan-Base im Internet, daher kamen viele aus dem eigenen Kreis, waren Freunde oder aus der Familie. Die machten einen guten Teil der Summe aus.

Daniel Saltzwedel: Wie viele Leute haben welchen Betrag gespendet?

Lass: Etwa 50 Leute sind für die 2.000 Euro verantwortlich, mit denen wir den Film verleihen wollen.

BFF: Tom Lass hat etwas fast unmögliches geschafft, er hat mit 2.500 Euro einen Spielfilm produziert.

Lass: Das stimmt, es ist eigentlich nicht möglich.

Behn: Wie hat es funktioniert?

Lass: Durch unsere improvisative Arbeitsweise. Ein Film kostet ohne Drehbuch nur etwa ein Zehntel dessen, was er mit Drehbuch kosten würde. Das liegt an kreativen Richtungswechseln,  ich  versuche mit dem zu arbeiten, was ich habe. Ich drehe im Café an der Ecke, statt an der Tankstelle, die im Buch vorgesehen sein könnte. Du lässt die Geschichte sich entwickeln. Dazu haben wir mit lichtstarken DSLR-Kameras gedreht, weshalb wir nicht zusätzlich beleuchten mussten.

Saltzwedel: Wieso spart es Geld, kein Drehbuch zu haben?

Lass: Das klingt erst mal verrückt.

Saltzwedel: Ihr seid nicht die ersten, die ohne Drehbuch arbeiten, aber wieso sollte das billiger sein und nicht eher teurer?

Die Dezember-Runde von "Delicatessen - Das Berliner Tischgespräch"

Die Dezember-Runde von "Delicatessen - Das Berliner Tischgespräch"

Lass: Die Arbeitsweise ist nicht für jeden Film geeignet. Müssen Szenen ineinander greifen, geht es nicht. „Pulp Fiction“ würde ich so nicht drehen können. Bei der Arbeit nach Drehbuch entsteht eine eigene Logistik, mit Drehorten, Autos und Drehplänen. Um die einzuhalten, musst du Geld in die Hand nehmen und z.B. Orte mieten. Dauert aber etwas länger, musst du Überstunden bezahlen. Wenn es bei mir regnet, regnet es im Film. Reißt sich mein Darsteller das Kreuzband, trägt er ab da einen Verband. Der Impro-Regisseur Axel Ranisch sagt: Die Umstände führen Regie.

Saltzwedel: Wie viel von der Geschichte stand im Vorhinein fest?

Lass: Ich habe nur die Ausgangssituation in einer halben Seite beschrieben, wo vor allem beschrieben wurde, was die Figuren machen. Meine Figur, Danny, schläft mit ganz vielen Frauen. Das war meine eigene Idee und war mir wichtig, weil ich in dem Film, in dem ich vorher spielte, einen Typen spielte, der keine Freundin findet. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen.

Saltzwedel: Hast du Regie studiert?

Lass: Ich spiele seit zwölf Jahren und setze nun um, was ich als Assistent, Fahrer und Produktionsleiter mitbekommen habe. Vor allem zwei Probleme traten immer auf: Das Geld und das Drehbuch. Also ließ ich beides weg.

Saltzwedel: Du stehst also in der Industrie und kannst auf Kontakte zugreifen – ein wichtiger Vorteil. Teilst du die Einschätzung, Beatrice?

Behn: Ja, aber das Schreiben von Förderanträgen ist auch sehr aufwendig.

Saltzwedel: Es klingt im Vergleich zu Crowdfunding eher easy.

Tom Lass und Beatrice Behn studieren die Karte im Luchs

Tom Lass und Beatrice Behn studieren die Karte im Luchs

Behn: Es ist nervig und anstrengend, aber dafür kannst du bei Förderanträgen immer wieder auf die zurückgreifen, auch wenn es schwierig ist hinein zu kommen. Crowdfunding ist eine andere Art von Stress.

Anna Theil: Mit Sicherheit, aber dafür ist der Nutzen auch nicht nur mit dem reinen Betrag zu messen. 2000 Euro bedeuten zum Beispiel gleichzeitig 50 Supporter, Kommunikation oder auch, dass wir hier sitzen. Das ist deutlich mehr wert. Ein Filmemacher, der ein Projekt bei uns hatte, fand über die Seite einen Co-Produzenten. Dem war es nicht mit einer Unterstützung getan, sondern der wollte den persönlichen Kontakt. Also trafen sie sich und der Co-Produzent war gefunden. Das klappte nur, weil er öffentlich war. In dem Fall war es eine Privatperson, die einstieg. Die beiden hätten sich sonst nie gefunden. Crowdfunding steht auch für Erfolge und Effekte, die nicht vorhersehbar sind.

Die Dame vom Service findet einen Moment, um die Bestellung aufzunehmen. Daniel Saltzwedel entscheidet sich für das Club-Sandwich, während alle anderen sich einstimmig für den Lachs entscheiden.

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