Wir blicken zurück auf das Jahr 2011

Jahresbilanz 2011


Mehr Weltkino

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„DIE KRISE IST EIN PRODUKTIVER ZUSTAND. MAN MUSS IHR NUR DEN BEIGESCHMACK DER KATASTROPHE NEHMEN“(MAX FRISCH) von SuT.

EHEC, Euro, Fukushima, Somalia, arabischer Frühling, Strauss-Kahn, zu Guttenberg und Harry Potter… 2011 – ein Jahr der Krisen und Katastrophen, der Revolutionen, Aufstände und Affären – ein Jahr der Veränderungen. Die Bilanz: Baden-Württemberg wird nach fast 60 Jahren „Grün“, zwölf Millionen Menschen ringen laut Welthungerhilfe am Horn von Afrika mit der Dürre, fast 40.000 Tote allein bei den Aufständen in Libyen, Ägypten und Syrien und eine weltweite Schuldenlast – die in der Summe nicht zu beziffern ist, da die Schuldenuhr unablässig läuft und transparente Zahlen in einer von Katastrophenrhetorik geprägten Debatte gänzlich fehlen, sowie ein potenter, unantastbarer Franzose dem die Gerichtsbarkeit trotz hinreichender Indizien nichts anhaben kann. Andere aber kommen nicht ungestraft davon. Dank VroniPlagWiki wurden nach der Affäre „Guttenberg“ über zehn weitere Plagiatschreiber enthüllt. Den realen Katastrophen stehen die Untergansszenarien im Film gegenüber. „Harry Potter and the Deathly Hollows Part II“ (David Yates) ist weltweit der Boxoffice-Hit des Jahres. Der Mythos vom Erlöser, der um sich herum eine Armee der Guten schart, um sich Unordnung und Unrecht entgegenzustellen, trifft in instabilen Zeiten offenbar den Zeitgeist. Mit dem achten Film verabschiedete sich der Zauberheld schließlich nach zehn Jahren von seiner Gefolgschaft. Abschied nahm man ebenfalls von Filmgrößen wie Bernd Eichinger, Loriot, Vittorio de Seta, Elizabeth Taylor, John Mackenzie, Jane Russel und Peter Falk.

Endzeitstimmung herrscht allmählich auch für das gute alte Zelluloid. Die Digitalisierung der Kinosäle ist in vollem Gange. Doch besonders wegen der unverhältnismäßigen Verteilung der Umrüstungskosten rührt sich Protest gegen die Digitalisierung der Kinos. Die AG Kino-Gilde rief im September zu einem Digitalisierungs-Stopp auf, während in den USA „das endgültige Aus für 35 mm für 2013 prognostiziert“ wird. (Quelle: filmecho filmwoche Ausgabe 23. Dezember 2011, www.agkino.de) Es gilt abzuwarten, wie sich die Dinge 2012 weiterentwickeln.

Den bereits erwähnten humanitären und gesellschaftlichen Herausforderungen des Jahres aber begegnete das Kino maßgeblich mit „Feel-Good-Movies“. „Die Schlümpfe“ (Raja Gosnell) oder Sequels wie „Hangover 2“ (Todd Phillips), „Transformers 3“ (Miachel Bay), „Fluch der Karibik 4“ (Rob Marshall) oder deutsche Komödien wie „Kokowääh“ (Til Schweiger) und „What a Man“ (Matthias Schweighöfer) führten die deutschen Boxoffice-Listen an. Das Publikum verlangt nach Altbewährtem. Ästhetische Akzente setzten hingegen 2011 Wim Wenders mit seiner anmutig und überragend inszenierten 3D-Dokumentation „Pina„, Darren Aranofsky mit „Black Swan“ und Lars von Trier mit seiner bildgewaltigen Studie zur Depression „Melancholia„. Drei visuell sehr starke und unglaublich berührende Filme.

Die wahren filmischen Leckerbissen waren aber wieder in den Berliner Filmfestivals und Filmreihen versteckt. Einer der Höhepunkte war unbestritten die vom Kino Babylon Mitte organisierte „Chaplin Complete“-Retrospektive, die ein großer Publikumsmagnet wurde und Kino wieder zum sozialen Erlebnis machte. Das zweite Filmhighlight des Jahres war sicher wieder das unglaublich kluge und wunderbare Around the World in 14 Films. Filme wie „Small Town Murder Songs“ (Ed Gass-Donnelly), „Elena“ (Andrey Zvyagintsev) oder „Good Bye“ (Mohammad Rasoulof) möchte man einfach nicht nur einmal im Jahr – wenn man Glück hat – im Kino sehen. Zu hoffen bleibt für 2012, dass sich auch ein Publikum wieder mehr herausfordern lässt und nicht nur nach Kurzweil und Berieselung sucht, damit mehr Verleiher sich für Filmkunst und Anspruch einsetzen und mehr Weltkino ins Kino bringen.

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