BFF On The Road: Zu Besuch auf der 72. La Biennale Di Venezia

Der Blog zu den 2015er Filmfestspielen von Venedig


Alfredo Castro und Luis Silva in "Desde all" - Gewinner des Goldenen Löwen 2015. Foto: La Biennale

Alfredo Castro und Luis Silva in „Desde allá“ – Gewinner des Goldenen Löwen 2015. Foto: La Biennale

Letzter Tag: Preisfrage

Pressevertreter polemisiert immer wieder gern über die (Fehl-)Entscheidungen der Jury in Sachen Preisvergabe. So geschehen auch in diesem Jahr in Venedig, wo der aus Mexiko stammende Jurypräsident Alfonso Cuarón („Gravity„) gleich zwei südamerikanische Filme mit den wichtigsten Preisen des Festivals ehrte. Den Goldenen Löwen, den Preis für den besten Film, nahm Lorenzo Vigas für seinen venezolanischen Beitrag „Desde allá“ entgegen. Ein Film, der von abwesenden Vätern und sozialen Dramen erzählt, von Verrat und Rache, und der das Leben auf der Straße und die Suche nach Liebe beschreibt. In diesem Fall eine ambivalente Liebe zwischen einem älteren und einem jüngeren Mann. Zwei Charaktere: ein Zahnprothesenhersteller mit konsequentem Pokerface, ein Täter, der offenbar selbst ein Verstoßener oder zumindest ein Opfer ist, der andere ein Survivor-Typ mit kämpferischer Aura. Vigas stellt mit diesem Film sein Spielfilmdebüt vor, für das er direkt den wichtigsten Preis im Wettbewerb erhält. Dennoch liefert der Film weder künstlerisch noch hinsichtlich der erzählten Geschichte etwas Neues oder erweist sich in irgendeiner Form als Entdeckung. Auch die ambivalente Täter-Opfer-Beziehung hebt den Film nicht sonderlich heraus aus der Konkurrenz. Allein Jurymitglied Diane Kruger erklärt, dass die Jury am Film „die Hand des Regisseurs und die Gefühle, die die Protagonisten dem Zuschauer geschenkt haben, beeindruckt„.

Der Silberne Löwe, als Preis für die Beste Regierarbeit, geht an Pablo Trapero für seinen auf der wahren Geschichte des Puccio-Clans basierenden Film „El Clan„.
Ein eigentlich eher geschmacklos inszenierter Film, der die Grenzen zwischen Drama und Gangstermovie versucht mit clipartig zusammengestellten Szenen aufzuweichen oder mit Songs wie „I´m just a gigolo“ im David Lee Roth-Cover, „Sunny Afternoon“ von The Kinks oder Ella Fitzgerald. Doch irgendwie will das nicht recht gelingen, meint man. Die vermeintlich bissig inszenierten Szenen wollen einfach nicht zum Rest des Filmes passen, wirken unentschlossen und hinterlassen einen irgendwie zweifelhaften Eindruck. Einzig Guillermo Francellas unterkühlte und eisige Performance ist herausragend und wert, erwähnt zu werden.

Alfonso_Cuaron (hier bei der Eröffnung) musste sich nach der Preisvergabe kritische Fragen gefallen lassen. Foto: La Biennale/ASAC

Alfonso_Cuaron (hier bei der Eröffnung) musste sich nach der Preisvergabe kritische Fragen gefallen lassen. Foto: La Biennale/ASAC

„Haben Sie keine Angst, dass Ihnen vorgeworfen werden könnte, dass Sie bei den südamerikanischen Beiträgen vielleicht etwas zu sehr nachgeholfen haben?“, fragt ein Journalist schließlich den Mexikaner Cuarón. „Nein, denn die haben mir echt viel Geld dafür bezahlt.“, antwortet der Jurypräsident offenbar ironisch auf die Frage.
„Es gab zwar keine absolute Mehrheit und wir waren uns nicht immer einig, aber wir waren immer alle bereit zusammenzuarbeiten. Und auch wenn wir ein wenig gestritten haben, mussten doch einige Filme klar prämiert werden.“, so Cuarón, der die Löwenvergabe weiter erklärte: „Ich glaube, wir haben keine politischen Filme ausgezeichnet. Und ich denke auch nicht, dass die Politisierung der Filme ein Auswahlkriterium ist.“ Einige der Kritiker hatten „Rabin, the Last Day“ (Amos Gitai), „11 minutes“ (Jerzy Skolimowski) und „Abluka“ (Emin Alper) als Anwärter auf den Goldenen Löwen gesehen. Doch Gitai und Skolimowski gingen leer aus, während Alper den Spezialpreis der Jury erhält und der Große Preis der Jury an Charlie Kaufmans und Duke Johnsons Film „Anomalisa“ geht. Zwei Preise, die benutzt werden, um die Filme auszuzeichnen, die auch nach Ansicht einiger Jurymitglieder Anwärter auf den Goldenen oder Silbernen Löwen hätten sein können und um die vielleicht sogar heftig gestritten wurde.

Besonders eine Recherche, die im vergangenen Jahr ein Mann der italienischen Online Presse „Cinefile“ angestellt hatte, um sich in einer statistischen Analyse und in sachlicher Form mögliche Kriterien der Preisvergabe am Lido anzusehen, stellt die Praxis der Preisvergabe vielleicht nicht nur für das Filmfestival am Lido, sondern im allgemeinen, in ein anderes Licht. Denn er stieß dabei auf ein Muster, das zeigt, dass auffallend oft gerade am Lido die italienischen Schauspieler als die großen Weltstars gefeiert und in regelmäßigen Abständen mit dem Hauptpreis für Schauspieler, der Coppa Volpi, ausgezeichnet werden. Auch in diesem Jahr ging der Preis für die Beste Schauspielerin an eine Italienerin, Valeria Golino, die für ihre Rolle im Familiendrama „Per Amor Vostro“ geehrt wurde. Der Autor vermutet hinter dieser nach seiner Ansicht unauffällig stabilisierten Praxis eine Taktik, um Produktionsfirmen zufrieden zu stellen (hier geht es zum italienischen Artikel). Wird die Unabhängigkeit einer Jury so in Frage gestellt, bekommt die Idee und Funktion eines solchen Festivals einen elenden Beigeschmack. Aufgabe der Presse bleibt es, zukünftig noch genauer hinzuschauen, wie bereits mehrmals auf diesem Festival – auch von Regisseuren wie Tom McCarthy – gefordert.

SuT

Hier die Preisträger in der Übersicht…

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