„Artisten“ von Florian Gottschick


"Artisten": Acht Jugendstraftäter werden für ein ungewöhnliches Resozialisierungsexperiment ausgewählt.

"Artisten": Acht Jugendstraftäter werden für ein ungewöhnliches Resozialisierungsexperiment ausgewählt.

Balanceakt im Knast

Als die Nacht hereinbricht über den Knast, werden die Lichter in den Zellen gelöscht oder angeknipst und das Zirkuszelt auf dem Gefängnishof wirkt wie eine indirekt beleuchtete absurd-groteske Montage – eine ziemlich schöne. Es ist vielleicht der unaufgeregteste Moment in Florian Gottschicks „Artisten“ (DE 2011), einem Film, dessen interessante Grundidee unter der Vielzahl seiner Geschichten und seinem überzeichneten Drehbuch begraben wird.

Die Idee: Acht Jugendstraftäter – vier männliche und vier weibliche – werden für ein ungewöhnliches Resozialisierungsexperiment ausgewählt. Zusammen sollen sie eine Aufführung stemmen. Dabei gilt es, die ihnen vorgeschriebenen Artistenrollen zu üben und auszufüllen. Schon die Anfangssequenzen machen nicht viel Hoffnung: die Projektteilnehmer sind lustlos, die Aggressionen innerhalb der Gruppe gefährden die Premiere der Zirkusaufführung. Das Aggressionspotential kommt nicht von ungefähr: Unter den Häftlingen befinden sich neben einem Soziopathen auch eine Kindsmörderin und ein Vatermörder, außerdem sind die Häftlinge ihrerseits teilweise Missbrauchsopfer oder schwer verhaltensgestört. Da diese Menge an Charakterkomplexitäten in 75 Minuten gar nicht verständlich oder empathisch ausgeleuchtet werden kann, beschränkt sich der Plot auf bekannte Versatzstücke und Klischees schwieriger Persönlichkeiten: vom Obdachlosen-Verprügeln, über das „Mit-der-bloßen-Hand-die-Schranktür-einhauen“ bis zum Klassiker des Gefängnisfilmdialogs „Denkst du etwa, ich bin schwul oder was?“ ist hier alles dabei. Die aggressiven Konfrontationen sind dann wohl auch das hervorstechende Merkmal in Gottschicks Film, in dem eine hysterische Aktion auf die nächste folgt.

Leider ist auch der rote Faden, das Geschehen in der Zirkusmanege, völlig unglaubwürdig geraten. Keiner der Häftlinge wirkt, als sei er an der inneren Auseinandersetzung mit der Aufgabe ernsthaft interessiert. Kein Wunder, dass man der Freude der Teilnehmer über die eigenen, geglückten artistischen Geschicke (die vorher fast immer sang- und klanglos misslingen) und dem plötzlich eintretenden Zusammengehörigkeitsgefühl am Schluss nicht so recht Glauben schenken kann. Auch der hoffnungslose Ton der Geschichte lässt einen ratlos und ein bisschen verärgert zurück: Ist das nun ein Film über ein geglücktes oder ein gescheitertes Experiment? Fast alle Charaktere haben zwar am Ende ihr artistisches Kunststück gemeistert, doch im Privaten sind sie weiterhin von gesellschaftlicher oder auch nur zwischenmenschlicher Normalität meilenweit entfernt. Die Rolle oder Mitverantwortung der Gefängnisstrukturen bleibt dabei völlig undurchsichtig. Neben vereinzelten Psychatergesprächen erleben wir die Häftlinge nur in der Blase ihrer eigenen Konflikte und Befindlichkeiten, nie werden die Charaktere zur Repräsentanten eines Systems oder umgekehrt. Vielleicht ist das die größte Schwäche des Films: Er kann mit dem Zirkuszelt im Gefängnishof eigentlich gar nichts anfangen, auch wenn es in der Dunkelheit so schön leuchtet.

Marie Ketzscher

Artisten“ Regie: Florian Gottschick, Darsteller: Adrian Saidi, Alexander Kasprik, Eric Klotzsch, Juliane Götz, Katjana Gerz, Leoni Schulz, Nora Huetz, Sebastian Schlecht, Anna Stieblich, Jörg Pintsch, Michael Kind, Ursula Andermatt