„Vergiss mein nicht“ von David Sieveking


FilmemachDavid Sieveking porträtiert seine an Alzheimer erkrankte Mutter. Foto: Farbfilm Verleih

FilmemachDavid Sieveking porträtiert seine an Alzheimer erkrankte Mutter. Foto: Adrian Staehli, Lichtblick MediaGmbh Berlin, Farbfilm Verleih

Wider das Vergessen

„Können wir irgendwo hingehen, wo wir nicht sterben?“ fragt die 75-jährige Gretel ihren Sohn David. Dieser lenkt ein und die beiden steigen aus dem Schwimmbecken, in das Gretel auf keinen Fall mehr eintauchen möchte. Der Filmemacher David Sieveking, zuletzt mit seinem heiter-ironischen Dokumentarfilmdebüt „David wants to fly“ bekannt geworden, hat sich in seiner neuen Arbeit in das Haus seiner Eltern zurückgezogen. In „Vergiss mein nicht“ begibt er sich auf familiäre Spurensuche und dokumentiert vor und hinter der Kamera die fortschreitende Alzheimer-Demenz seiner Mutter Gretel. Zusammen mit dem stets dezenten, aber dennoch immer präsenten Kameramann Adrian Stähli begleitet er seinen Vater Malte und dessen Frau bei alltäglichen Dingen wie Frühstück oder Gartenarbeit, aber auch bei intimen Momenten wie den durch die Krankheit merkwürdig verschobenen Unterhaltungen oder dem Aufwischen von Exkrementen und der Medikamentenvergabe. Schnell wird deutlich, dass der Filmemacher aus einer gutbürgerlichen und sympathisch-offenen Familie stammt, deren Eltern als überzeugte Achtundsechziger eine offene und gleichberechtigte Beziehung geführt haben. Sievekings Auftreten schrammt dabei anfangs gefährlich nah an einer Nabelschau vorbei, es dauert eine Weile, bis er seine Zuschauer von der Personalunion Sohn, Filmemacher und Pfleger überzeugen kann.

Im Laufe des Films nähert sich die Familie – sonst eher von kühlem Intellekt geprägt – aneinander an und David schafft es, seine Mutter zu einigen Aktivitäten zu bewegen: Er reist mit ihr in deren Geburtsstadt Stuttgart und sie besuchen Vater Malte in seinem Feriendomizil in der Schweiz. Die vielen Momente der liebevoll-heiteren Vertrautheit zwischen den Protagonisten und der unfreiwillig komischen Verwechslungen, die durch die Krankheit entstehen – Gretel bezeichnet David etwa als ihren „neuen Malte“, weil der Sohn sich so gut in der Abwesenheit des Ehemanns um sie gekümmert hat – täuschen allerdings nicht darüber hinweg, dass Gretels Zustand immer schlechter wird. Um trotzdem nicht in die Mitleids-Falle zu tappen, flicht der Filmemacher einen zweiten Handlungsstrang ein: Die politische Vergangenheit der Mutter, die ein aktives Mitglied in der Frauenbewegung war und sich bis zu ihrer Erkrankung politisch engagierte. Ehemalige Gefährten und ein Liebhaber kommen zu Wort und so wird aus der Alzheimer-Dkoumentation ein beeindruckendes Porträt einer Frau, deren Humor und Feinsinn die Krankheit überstrahlen.

Cosima Grohmann

„Vergiss mein nicht“ Regie/Drehbuch: David Sieveking, Kinostart 31. Januar