Filmtipp: David Cronenbergs “Eine dunkle Begierde”


Filmszene: "Eine dunkle Begierde"

Filmszene: "Eine dunkle Begierde"

Gerade 23 Jahre jung, drehte Regisseur David Cronenberg seinen ersten Kurzfilm „Transfer„, einen sieben-minütigen „surrealen Sketch für zwei Personen – einen Psychiater und seinen Patienten„. Mehr als 40 Jahre später greift er mit „Eine dunkle Begierde“ das Thema nun wieder auf und erzählt eine kleine Geschichte der Psychoanalyse. Angesiedelt im beginnenden 20. Jahrhundert im österreichisch-ungarischen Kaiserreich führt Cronenberg mit der Russin Sabina Naftulowna Spielrein (gespielt von Keira Knightley) eine bis dato weitgehend unbekannte Akteurin ein, die den Austausch der beiden großen Vordenker Carl Gustav Jung (Michael Fassbender) und Sigmund Freud (Viggo Mortensen) entscheidend beeinflusste.

Hysterisch kreischend und vollkommen entrückt, erreicht Spielrein die von Jung und seiner Frau Emma betriebene Klinik Burghölzli. Forscher Jung beschließt, die junge Frau mit den Methoden der Psychoanalyse behandeln zu wollen. Er hört der sichtlich getriebenen Frau in langen Gesprächen zu und stößt schon bald auf Ursachen ihrer Krankheit: Spielrein wurde schon als Kind vom Vater missbraucht und entwickelte eine abgründige Passion für Schmerz als Teil ihrer Sexualität.  Jung schildert den Fall seinem Vorbild, dem großen Wiener Professor Sigmund Freud. Zwischen den beiden Begründern der Disziplin entwickelt sich ein reger postalischer Austausch, ehe sie sich endlich begegnen. Freud wird zum Mentor Jungs, doch die professionellen Meinungsunterschiede zwingen die beiden Männer in eine tiefe Rivalität. Während Freud in der Psychoanalyse ein Diagnose-Instrument sieht, glaubt Jung an ihre heilende Kraft. Spätestens als Jung eine Affäre mit Spielrein eingeht, die von seiner Patientin zu seiner Schülerin wurde, bricht Freud mit ihm. Als sich Spielrein nach der schmerzhaften Trennung vom obsessiv verehrten Jung an Freud wendet, verkraftet Jung dies nicht mehr und begibt sich – ob des Verlustes der großen Liebe – in eine Parallelwelt. Die Wissenschaftler sprechen nie wieder miteinander.

Sprache und Dialog sind die großen Themen von Cronenbergs „Eine dunkle Begierde“, der angelehnt an das von Richrad Hampton fürs Drehbuch adaptierte Theaterstück eigentlich „The Talking Cure“ heißen sollte, ehe der englische Originaltitel „A Dangerous Method“ bestimmt wurde. Diese frei übersetzte „Heilung während des Sprechens“ umschreibt den jüngsten Cronenberg aber recht präzise. Trotz der großartigen Ausstattung und den raffinierten, hintersinnigen Bildspielchen, mit denen der Meisterregisseur die Verhältnisse bestimmt, stehen klar die Wortwechsel zwischen Freud und Jung im Zentrum des dokumentarisch anmutenden Biopics. Sie entschlüsseln anhand der präzise inszenierten Charaktere die Positionen der Protagonisten. Wichtiges Element für Cronenberg: Die erst in den späten 70er-Jahren vom wissenschaftlichen Kanon entdeckte Spielrein. Deren Figur leidet zwar anfangs unter den nur schwerlich zu ertragenden Darbietungen von Knightley, entwickelt sich aber im Verlauf positiv. Und doch: An vielen Stellen zieht sich Cronenbergs Psychoduell mit Dame wie Kaugummi. Der Kanadier, der ungewohnt stringent chronologisch erzählt, wirkt (ob der Persönlichkeiten?) gehemmt, weshalb nie wirkliche Spannung aufkommt. „Eine dunkle Begierde“ funktioniert weder als Erotikdrama noch Psychodrama – trotz der starken Fassbender und Mortensen. Was bleibt ist Bildungsfernsehen.

Denis Demmerle

Eine dunkle Begierde; Regie: David Cronenberg, 99 Minuten (Großbritannien/ Frankreich/ Deutschland/ Kanada/ Schweiz 2011)Mit: Michael Fassbender, Keira Knightley, Viggo Mortensen, Vincent Cassel

Kinostart: 10. November