Alex de la Iglesia über seinen neuen Film „Mad Circus“

Ich denke immer an Superhelden und Superbösewichte


Carlos Areces (Javier) und Carolina Bang (Natalia)

Carlos Areces (Javier) und Carolina Bang (Natalia)

Spanien erlebt politisch brisante Tage. Viele junge Menschen sind arbeitslos und gehen auf die Straße, während sich die Politik gleichzeitig sehr schwach präsentiert.
Wir erleben einen der Momente, in denen wir erfahren, wie es den Menschen im Land geht. Das tut Spanien sehr gut. Denn die Leute denken ähnlich. Die Empörung kam aus Spanien heraus. Aber sie ist überall in der Welt. Wichtig ist, dass es nicht um Ideologien geht, sondern darum den Wahlvorgang zu verändern. Momentan stehen den Wählern nur zwei Alternativen zur Verfügung. Das ist problematisch. Das Parlament steht nicht für das Volk. Wir müssen das verändern, um in einer wahren Demokratie zu leben.

Um zum Film zurückzukehren: Das wäre die Lösung für Natalia, die sich im Film weder dem einen noch dem anderen Clown hingeben will.
Genau, das wäre ihre Lösung. Sie könnte einfach einen dritten Clown auswählen. Es gibt mehr als nur zwei Möglichkeiten. Sie könnte den einen verlassen und wieder zu ihm zurückkehren. Oder auch nicht.

Wie wichtig ist Ihnen, mit Ihrem Film eine politische Botschaft zu verbreiten?
Es ist in keinem Fall der Hauptgrund für mich, denn der ist, meine Erinnerungen zu verarbeiten. Ich erinnere mich an die Angst vor Blanco oder Franco. Irgendwann entstand die Idee zweier miteinander kämpfender Clowns, für die es keine Lösung gibt. Deren Begierde am Ende stirbt. So entsteht zwar die Metapher über mein Land, aber die klare Linie, die durch den Film führt, sind meine Erinnerungen. Filmemachen ist mein Beruf, meine Verpflichtung. Wenn ich eine Geschichte erzähle, dann mit der großen Leinwand. Beim Essen unterhielt ich mich gestern mit einigen Deutschen, die den Film gesehen haben, die meinten, dass es solche Filme hier sonst nicht zu sehen gibt. Ich hätte die Eier, ihn so zu drehen. In Spanien machen wir momentan eben solche Filme und halten uns nicht für sonderlich tapfer. Filmemachen ist in Spanien nicht einfach. Es gilt mit wenig Geld Blockbuster zu drehen, was nicht möglich ist, also musst du scheitern. Machst du einen Sandra Bullock-Film ohne Sandra Bullock, hast du ein Problem. Für mich sieht so die Lösung für mutiges, europäisches Kino aus. Das Jammern über zu wenig Geld bringt nichts. Du hast die Idee und die Leidenschaft, also versuch es.

Superhelden, wie wir sie aus Comics kennen, haben Sie offensichtlich inspiriert…
Die sind natürlich sehr kindisch, gehören aber zu meinen Kindheitserinnerungen dazu. Ich denke immer an Superhelden und Superbösewichte. Sie erzählen unheimlich viel von der Realität. Es gibt Typen, wie meine Clowns, die sich gegenseitig bekämpfen und fühlen, dass sie Superkräfte haben. Und doch drehen sie am Ende durch. Auch die Guten, wie Batman. Ich persönlich fühle mich mit Batmans Gegenspieler, dem Joker, verbunden. Der Joker ist ein Clown. Clownsmasken verbergen Emotionen, eine weitere Eigenschaft, die mich ihnen nahe fühlen lässt.

Wessen Joker-Interpretation mögen Sie am liebsten?
Jack Nicholson. Ich liebe das Groteske. Der Moment, in dem der Nicholson-Joker im Museum zu dem Bacon-Bild geht, ist schlicht perfekt – egal, was man vom Rest der Story hält.

In der Rezeption der deutschsprachigen Presse wurde immer auf die Brutalität von „Mad Circus“ hingewiesen. Können Sie sich erklären, warum er so wahrgenommen wird?
Erklären nicht, aber ich stimme damit vollkommen überein. Deswegen sitze ich auch heute hier. Ich will Rache – wie meine Figur im Film. Der einzige Weg glücklich zu sein, ist die Rache. Das Leben ist nicht fair. Sobald du eine Vergangenheit hast, entsteht eine Tradition, die mit Krieg oder Gewalt zusammenhängt. Daran trägst du keine Schuld. Niemand ist Schuld an der Gewalt, die sein Vater in der Vergangenheit ausübte. So soll die Vergangenheit auf keinen Fall vergessen werden, aber es muss die Möglichkeit geben zu sagen: Es ist nicht unsere Schuld. Lass uns darüber sprechen. Ich erwarte keine Absolution dafür, aber wehre mich auch gegen eine Schuld, die Ewigkeiten zurückliegt und Teil der Welt ist. Gerade die Deutschen verstehen das. Sie werden für Taten belastet, für die sie nichts können. Eine ganze Generation liegt dazwischen. Darauf bin ich sehr wütend.

Ihr Film wurde im letzten Jahr beim renommierten Filmfest in Venedig mit dem Silbernen Löwen für die beste Regie und für das beste Drehbuch ausgezeichnet. Jury-Präsident Quentin Tarantino soll Ihren Film geliebt haben…
Eine wirklich tolle Jury, in der auch Guillermo Arriaga (spanischer Schriftsteller, Anm. d. Red.) saß. Aber ich widerspreche der Aussage von vielen Menschen, dass Quentin und ich die gleichen Filme machen. Wir haben keine Verbindung, abgesehen davon, dass wir Filme lieben und Filme mit enormer Energie drehen. Vielleicht noch, dass wir beide ein Händchen für Bösewichte haben. Wir arbeiten sehr unterschiedlich. Er unterhält viel mehr, während es mir um meine persönliche Geschichte geht. Ich bin wütender.

Die Fragen stellte Denis Demmerle

Alex De La Iglesia by Berliner Filmfestivals

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