Interview mit Grit Lemke über die Initiative Festivalarbeit

Lemke: "Großes Potenzial für Gewerkschaftsarbeit"


Grit Lemke (DOK Leizig) stellt im Interview die Positionen der Initiative Festivalarbeit vor. Foto: DOK Leipzig/ Susann Jehnichen

Grit Lemke (DOK Leizig) stellt im Interview die Positionen der Initiative Festivalarbeit vor. Foto: DOK Leipzig/ Susann Jehnichen

Die Initiative „Festivalarbeit“ möchte gerechte Arbeitsbedingungen in der Filmfestivallandschaft erkämpfen und die Beschäftigten vernetzen. Ins Leben gerufen wurde die Initiative im Mai 2016 von Grit Lemke (DOK Leizig), Alexandra Hertwig (Kasseler Dokfest), Andrea Kuhn (Filmfestival der Menschenrechte Nürnberg) und Ludwig Sporrer (DOK.fest München). Berliner Filmfestivals sprach mit Grit Lemke, der Programmleiterin von DOK Leipzig, über die Ziele und Notwendigkeit der Initiative.

Grit, vor kurzem hast du mit drei Kolleg/-innen den Aufruf „Festivalarbeit gerecht gestalten!“ veröffentlicht. Wie kam es dazu?
Grit Lemke:
Ich arbeite schon seit 1991 für Filmfestivals und habe immer frei gearbeitet, daher kenne ich das Leben als freie Festivalarbeiterin gut. Seit zwei Jahren bin ich fest angestellt und habe zum ersten Mal mitgekriegt, was für einen krassen Unterschied das macht. Man fängt erst an, Dinge in Frage zu stellen, wenn man sieht, wie anders sie sein könnten. Wer frei arbeitet, ist in so einem Hamsterrad gefangen, dass er sich selten fragt, ob s so sein muss, dass man nicht krank werden darf, dass man am besten keine Kinder hat.
Als ich fest angestellt war, habe ich versucht, einen Betriebsrat zu gründen. Das ging aber nicht, weil ich nur befristet angestellt bin. Ich habe mich gefragt: Warum kann man keinen Betriebsrat gründen, warum gibt es keine Solidarität unter den Festangestellten, warum werden die einen befristet angestellt und die anderen unbefristet? Je mehr man auf diese Mechanismen guckt, desto mehr Ungereimtheiten entdeckt man.

Und was führte zu der Gründung eurer Initiative?
Auf dem diesjährigen Berlinale-Empfang habe ich über all diese Ungereimtheiten mit meinem Kollegen Ludwig Sporrer vom DOK.fest München gesprochen. Wir haben uns gefragt, warum wir eigentlich keinen Dachverband haben, warum niemand unsere Interessen vertritt, warum ver.di uns nicht auf dem Schirm hat. Hinzu kommt, dass man nicht über Geld redet und höchstens zufällig mal mitkriegt, was jemand anderes so verdient. Wenn man aber anfängt, darüber zu reden, merkt man sehr schnell, dass darüber geredet werden muss.
Am nächsten Tag traf ich Andrea Kuhn vom Festival der Menschenrechte Nürnberg, und auch sie sagte, klar, da müsste man mal was machen. Sie ist selbst Festivaldirektorin – und inzwischen sind auch schon mehrere Festivaldirektor/-innen dem Netzwerk beigetreten. Die Initiative richtet sich nicht, und das sagen wir ganz klar, gegen Festivaldirektor/-innen. Natürlich geht es auch um Ungerechtigkeiten innerhalb der Festivals, aber dahinter steht eine größere politische Forderung. Wir müssen klar machen, dass in der Art und Weise, wie Festivals derzeit gefördert werden, eine gerechte Bezahlung oft nicht wirklich möglich ist.
Gegründet haben wir die Initiative dann in Prag, als wir Alexandra Hertwig vom Kasseler Dokfest auf dem One World Festival trafen. Alles ging wahnsinnig schnell. Wir haben den Aufruf herausgeschickt, und dann war das ein Selbstläufer.

Welche Reaktionen habt ihr erhalten?
Es ist Wahnsinn! Der Aufruf ist über Facebook & Co. tausende Male geteilt worden. In den ersten Wochen kamen täglich mehrere Meldungen. Der größere Teil der Leute scheint es allerdings interessiert geteilt zu haben, ohne mitzukriegen, dass man sich zurückmelden und in den Verteiler aufnehmen lassen sollte. Mit dem nächsten Schritt wollen wir noch mehr Leute erreichen und einen richtigen Verteiler aufbauen, der nicht nur auf unseren Netzwerken beruht. Wir kommen alle eher vom Dokumentarfilm, entsprechend sind unsere Netzwerke sehr Dokfilmlastig. Wir würden das gerne ausweiten, auf Spielfilm, Kurzfilm, Experimental- und Animationsfilm.
Es gab viele Kontaktanfragen, zum Beispiel hat mich der medienpolitische Sprecher der Linken im Bundestag eingeladen. Da gab es ein paar ganz konkrete Gespräche, die nun darin münden werden, dass die ein paar Sachen in die Ausschüsse tragen und zwei kleine parlamentarische Anfragen stellen. Letzte Woche gab es auch ein Treffen mit ver.di. Es passiert schon sehr viel im Moment.

Welche Rolle spielt ver.di in dem Prozess?
Wir haben in unserem Aufruf ganz bewusst ver.di erwähnt, weil natürlich klar ist, dass man, wenn man eine quasi-gewerkschaftliche Initiative anstößt, auch mit der eigenen Gewerkschaft reden muss. Wir vier Gründer/-innen sind alle ver.di-Mitglieder. Aber uns ist bewusst, dass gerade der Großteil der jungen Kolleginnen und Kollegen Gewerkschaften, besonders ver.di, überhaupt nicht als ihre Interessenvertretung ansieht. Das ist jetzt auch ver.di klar geworden und Gundula Lasch, die Vorsitzende der Bundeskommission Selbstständige, hat mich sofort kontaktiert. Anfang Juli hatten wir in Leipzig ein sehr gutes Gespräch; neben Gundula Lasch sind auch Mitglieder des ver.di Bundesvorstand und des Bezirksvorstands in Leipzig angereist. Ver.di wird uns aktiv unterstützen, allerdings ist denen klar, dass wir nicht automatisch unter die Flügel von ver.di schlüpfen. Aber es gibt Anknüpfungspunkte. Da ist noch großes Potenzial für Gewerkschaftsarbeit.
Das gilt genauso für Politiker/-innen. Denen war überhaupt nicht klar, dass es da großen Bedarf gibt. Der medienpolitische Sprecher der Linken war sehr informiert über die Arbeitsbedingungen im Filmbereich – gerade in der Filmproduktion, etwa in Bezug auf die Novelle des Filmfördergesetzes. Da wird diskutiert, ob die faire Bezahlung von Mitarbeiter/-innen bei einer Filmproduktion eine Bedingung für die Förderung ist. Aber bei Festivalförderung ist das noch gar kein Kriterium. Mit dem Mindestlohn hat sich ein bisschen was getan, zumindest für die Festangestellten der öffentlich geförderten Festivals. Zum Beispiel bekommt DOK Leipzig nun wirklich viel mehr Geld, um eben den Mindestlohn zahlen zu können. Aber davon sind die freien Mitarbeiter/-innen oft noch weit entfernt. Dabei machen sie einen Großteil der Arbeit.

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