Fantasy Filmfest 2012

Rotznasen, alte Bekannte und die Anstößigkeit des Schönen


"Portrait of a Zombie": Die Familie Murphy adoptiert einen Zombie. Foto: Fantasy Filmfest

"Portrait of a Zombie": Die Familie Murphy adoptiert einen Zombie. Foto: Fantasy Filmfest

Harry Potter ist zwar mittlerweile geschlechtsreif, sein Besen steht brav in der Ecke und er fristet mit seinen einstigen Weggefährten ein tristes Angestelltendasein, doch gesellschaftlich voll integrierte Vampire, Zombies und David Hasselhoff lauern bereits in einer dunklen Ecke. Auch Skeptiker schwärmen jetzt, und Kritiker gönnen ihrem analytischen Blick eine Auszeit. Gegen das Märchen, die Fantasiepforte zwischen der Kindheit und dem Erwachsensein, kann man nicht argumentieren, schon gar nicht, wenn der mediale Außentraum dazu aufbietet, was Technik, Handwerk und B-Prominenz gegenüber ihrem Material aufzubieten haben – das Fantasy Filmfest, das in diesem Jahr vom 21. bis 29.August stattfindet. Außerdem trifft man auf liebgewonnene alte Bekannte. Die Bugs zum Beispiel. In Shinji Aramakis „Starship Troopers: Invasion“ müssen zwei Einheiten mit leicht unterschiedlichem Führungsstil durch literweise Bugschleim waten. Auch dieses Mal wirken die Kämpfe gegen überdimensionale Küchenschaben wie cartoonhafte Szenen aus Zeiten des ersten Weltkrieges. Ein völlig indusktabler Gegner, zu attraktive Soldatinnen und Dialoge der Marke Subjekt-Prädikat lassen den Zuschauer für die Dauer von 88 Minuten in die orale Phase zurückkehren. Die Metaebene der digital verschärften Butterbrotheftchen gewähren uns den Frieden zwischen Zuckertüte, Technologie und Ökonomie. Wir brauchen so etwas, die Kinder und die unerlösten Kinder in uns, weil unsere Kultur unter dem Druck des Rationalen, des Materiellen, kurzum: unter den Desastern der Abgeklärtheit in einem solchem Maße verarmt, dass uns nur die Gegenwelt der Fiktionen bleibt. Das wird auch Gangsterboss Bellavance lernen.

In Steven C. Millers „The Agression Scale“ nimmt er den Kampf gegen das Problemtalgesicht Owen auf. Unnötig zu erwähnen, dass der schießwütige Kleinkriminelle seinen Gegner dramatisch unterschätzt. Harmloser, aber ungleich charmanter geht es in Blake Freemans „Noobz“ vor sich. Die ewigen Jungfrauen Cody, Andy und Oli brauchen einen vierten Spieler, um beim großen Gears of Wars Turnier teilzunehmen. Auf der Suche nach ihm treten sie in jedes nur erdenkliche Fettnäpfchen und Caspar van Dien (aka Johnny Rico aus Paul Verhoevens Starship Troopers) darf den Jungs den ein oder anderen One-Liner an die Nerdbirne knallen. Im Repertoire der Entfremdung fehlt noch ein weiterer Buddy – der Zombie. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist dieser nicht nur deshalb zum Alltag geworden, weil der Alltag der meisten Menschen zugleich kannibalistisch und von Abstiegsangst geprägt ist, sondern weil die Topoi und Erzählformen dieses Subgenres sich in nie gekanntem Maße veralltäglicht haben. Die Zombieapokalypse ist der imaginierte Ausnahmezustand des Schrebergartenbesitzers. So ist es nur folgerichtig, dass die Familie Murphy in Bing Baileys „Portrait of a Zombie“ den vollkarnivoren Billy adoptiert. Der fault im Hinterzimmer vor sich hin und überfällt trotz elterlicher Reglementierung hier und da mal einen Nachbarn. Eine gelungene Mockumentary, die den Zombie neben struktureller Arbeitslosigkeit, hohen Scheidungsraten und Rassismus als gesellschaftlich relevantes, aber alltägliches, damit verlässigbares Problem behandelt.

Das Fantasy Filmfest repräsentiert längst nicht mehr, wie in seinen Anfängen in der britischen Gothic Novel oder in den Erzählungen H.P. Lovecrafts, das Andere der Normalität, das mit Gewalt und Plötzlichkeit in den Alltag der Individuen einbricht und an die notwendig verdrängten Seiten des eigenen Selbst erinnert, sondern es ist, als Mode, (Feier)Abendunterhaltung und Partykultur, selbstverständlicher Bestandteil dieses Alltags geworden. Unalltäglich, verstörend, ja sogar anstößig wirkt mittlerweile eher die Evokation des Schönen als die des Hässlichen, das seinerseits als geradezu realistische Darstellung des Status quo aufgefasst wird – darauf ein Billigbier.

Joris J.

26. Fantasy Filmfest, 21. bis 29. August, Event Cinema Berlin und Cinemaxx am Potsdamer Platz, Programm in der Übersicht, www.fantasyfilmfest.com