Cinema of Outsiders im Zeughauskino

Aus Independent wurde Indie


Im Laufe der Jahrzehnte gab es im amerikanischen Independent-Film verschiedene Bewegungen und Veränderungen. Inwiefern hat sich der Indie-Film an sich verändert?
Was an den 80ern so spannend ist, der Begriff Independent war völlig offen. Weil so, wie wir Independent heute kennen, ist es in der Regel ein Spielfilm, der außerhalb Hollywoods produziert wird. Das war aber früher anders. Da gehörten Dokumentarisches, Avantgarde, Experimentelles und Underground dazu. Das kann beim „Cinema of Outsiders“ leider aus Platzgründen nicht wiedergegeben werden. Aber es ist wichtig, dass dieses „Branding“ von Independent erst nach „Sex, Lies and Videotape“ kam. Und der Punkt hier war, dass man gesehen hat, dass man mit diesen Filmen sehr viel Geld verdienen kann. Das hat vieles verändert. Und man kann es auf die Formel runterbrechen, dass aus Independent „Indie“ wurde. In dem Wort steckt für mich das ganze Übel. Es gab in den 90ern eine Vermarktung durch Sundance und durch Miramax, die meiner Meinung nach den Begriff Independent entleert haben.

Es ist nur noch ein Marketing-Begriff.
Ja, absolut. Im Positiven wie im Negativen. Viele Filme haben dadurch eine größere Aufmerksamkeit erlangt, mehr Publikum. Gleichzeitig ist der Begriff eine Art Gefängnis oder Box, der vieles ausschließt. Was ich aber auch spannend finde, ist der riesige Erfolg von Independent-Filmen in den 90ern. Hollywood hat immer mehr in Independent-Filme investiert und spätestens zur Finanzkrise 2008 ist das alles implodiert. Wir sind heute sozusagen wieder in den 80ern angekommen. Die Strukturen sind nicht mehr ganz so klar. Man weiß nicht, in welche Richtung es geht. Wie in den 80ern, wo alles auch ein bisschen ungewiss war. Was sind die Modelle, was kann funktionieren? Das ist heute ähnlich. Früher war es schwieriger zu produzieren, weil Filmmaterial teuer war. Heute ist es billig. Dafür ist es heute schwer ins Kino zu kommen und seinen Film zu zeigen. In vielerlei Hinsicht schließt sich der Kreis. Die große Blase ist geplatzt.

Ist es denn tatsächlich schwerer geworden für Independent-Filmemacher? Man könnte meinen, dass durch das Internet die Distributionen einfacher geworden und Plattformen dazugekommen sind.
Ja, aber es gibt tausende Filme. Es ist einfacher geworden, einen Film zu veröffentlichen. Aber wer sieht den? Zum Beispiel bei Netflix, wo man 10 000 Titel hat, ist es praktisch unmöglich aufzufallen. Und halb im Scherz rät man auch Filmemachern, dass sie die Filmtitel mit einer Zahl, A oder B beginnen sollen, damit man in der Liste ganz oben ist. Die Masse macht es schwer, ein Publikum zu finden.

"Parting Glances" von Bill Sherwood gilt als einer der wichtigsten unabhängigen Autorenfilme über Schwulsein und AIDS.

"Parting Glances" von Bill Sherwood gilt als einer der wichtigsten unabhängigen Autorenfilme über Schwulsein und AIDS.

Es ist in vielen Kunstbereichen mittlerweile so, dass sich Künstler als Marke etablieren müssen, um wahrgenommen zu werden. Gilt dies auch für den Filmemacher? In einem früheren Interview hast du gesagt, dass der unabhängige Filmemacher sich mittlerweile selbst Marketingstrategien überlegen muss.
Ja, das ist wichtig. Joe Swanberg hat vier Filme gedreht und daraus eine Art Jahresabo gemacht. Da ist Kickstarter und Crowdfunding schon die logische Konsequenz. Das ist ja auch schon die erste Vermarktung. Man muss als Marke hervorstechen. Das sagt sich jetzt so einfach, aber das ist natürlich schwer. Aber ist schon interessant, Swanberg hat jetzt einen Film mit bekannteren Schauspielern gemacht, der auch im Rahmen des Studios gedreht wurde, produziert aber auch seine ganz kleinen Filme. Er kann jetzt davon leben.

Wenn du Independent-Filme als Kurator sichtest, wie schließt du darunter Filme aus bzw. ein?
Für die Retrospektive gab es kein Ausschlusskriterium. Mir ist es wichtig, mit dem heutigen Independent-Begriff auf die Zeit zurückzublicken, darum sind jetzt nur Spielfilme darunter. Auch in diesen zwölf Filmen sieht man die Vielfältigkeit. Was in den 90ern nicht mehr so der Fall war. In den 80ern war Independent noch nicht so erfolgreich, weil noch nicht so viel Geld im Spiel war, nicht so viel Druck. Das sieht man in den Filmen. Beim Unknown Pleasures ist eines der Ziele gegen Sundance zu arbeiten, dem „süßen“ Independent-Film. Sundance steht für eine gewisse Art von gefälligem Kino, was es zu einfach macht. Filme wie „Little Miss Sunshine“ oder „Juno“ sind nicht unbedingt das, woran ich interessiert bin. Und darum ist es mir beim Unknown Pleasures wichtig, den Begriff nicht mehr zeitgemäß zu benutzen, es dagegen wieder offener zu machen. Ich versuche Dokumentarisches dabei zu haben und Experimentelles. Ich will zeigen, dass es ein breiteres Feld ist, als allgemein angenommen.

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