Festivalbericht: 7. British Shorts in Berlin

Nischen der britischen Kultur



Es sind aber auch die ernsten Momente, in denen das British Shorts zu überzeugen wusste. In „Full Time“ besucht der Londoner Michael seine Eltern und schaut sich mit seinem Vater ein Fußballspiel im Stadion an. Michael sorgt sich um seinen Vater, der Anzeichen einer Demenzerkrankung erkennen lässt und sich auf dem Weg zum Stadion kurzerhand verirrt. Gleichzeitig ist er davon peinlich berührt. Regisseur Mark Gill konfrontiert seine Zuschauer direkt mit der Komplexität der Zusammenhänge. Die Betrachter teilen Michaels Perspektive, was sei zwingt, die eigenen Urteile über die gezeigten Situationen zu überdenken. Als die beiden über das erste im Stadion verfolgte Fußballspiel von Michael streiten, möchte man den Vater genau wie sein Sohn in dieser Situation nicht ganz ernst nehmen. So ist es umso bestürzender, als Michael später herausfindet, dass sein Vater Recht hatte. Gerade durch die winzigen Details und die Fähigkeit, diese auch bildlich wiederzugeben, beweist der Regisseur ein Verständnis der Thematik, welches man in einer solch ausgeprägten Form im Kino selten findet.

Neben den fiktiven Filmwelten boten die gezeigten Dokumentationen tiefe Einblicke in selten gezeigte Nischen der britischen Kultur. „Polaris“ von Chico Pereira visualisiert den repetetiven und routinierten Alltag von philippinischen Hochseefischern in Schottland. In langen und unkommentierten Einstellungen werden die Arbeiter bei ihrer Tätigkeit und in den Pausen gezeigt. Durch Telefongespräche der Fischer mit ihren Familien in der Heimat erfährt der Zuschauer kleine Bruchstücke ihrer Lebenspläne und Wünsche abseits des kräftezehrenden und ermüdenden Handwerks. Im Gegensatz dazu zeigen sich die Händler in der Kurzdokumentation „Niche In The Market“ wortreich über ihr Leben und ihre Zielgruppe, welche sie mit ihren winzigen Marktständen in Brixton bedienen wollen. Die Überzeugung und Begeisterung, mit der sie ihre persönlich gewählten und gestalteten kleinen Freiräume verteidigen, strahlt dabei eine faszinierende Energie aus.

Die Kurzdokumentation „Niche In The Market“ von Rod Main…

Eine grenzenlose Begeisterung für ihr Hobby stellen auch die Taubenzüchter in Paul Fegans „Pouters“ unter Beweis. Diese stehen in einem erbitterten Wettbewerb miteinander und versuchen sich mit ihren schönsten Tieren gegenseitig auszubooten. Dabei ist es amüsant zu beobachten, mit welcher Hingabe die Züchter ihre Tauben waschen, einseifen und trocken föhnen oder kreative Fallen zum ergattern der fliegenden Prachtexemplare kreieren. Ein Umstand, den auch die Jury beim British Shorts zu würdigen wusste. „Pouters“ gewann den diesjährigen Jurypreis und verdeutlichte somit erneut die Vielseitigkeit und Experimentierfreude, mit der das Festival sein Publikum überzeugt. Cheers, and see you again next year!

Henning Koch

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