Interview mit Kenneth Anders zur 11. Provinziale in Eberswalde

Kultur trägt zur Bildung einer Zivilgesellschaft bei



Wie hat sich eure Programmauswahl in den zurückliegenden elf Jahren verändert?
Der Provinzbegriff, der ja seit sechs Jahren unseren Fokus bei den Dokumentarfilmen bildet, hat sich verschoben. Anfangs standen Peripherie oder ländlicher Raum sehr im Mittelpunkt. Heute würde ich sagen: Provinz ist überall da, wo Menschen sich an einen Raum binden und versuchen, ihn zu gestalten. Wo sie darauf verzichten, die Welt danach zu beurteilen, wo sie die besten Chancen haben und stattdessen sagen: Ich bin nun einmal hier, also machen wir was draus.
Bei den Kurzspielfilmen ist dieser menschliche Bezug zum Raum nicht so tragend, aber auch hier werden immer wieder Haltungen des Ausharrens und sich-Auseinandersetzens verfolgt. Bleiben die Animationsfilme, die sich als kleine Sparte in den letzten Jahren schön entwickelt haben. Wir haben die Filme, die wir hier suchen, auf einen hübschen Titel gebracht: Weiche Schale – harter Kern. Wir suchen also Filme, die erst einmal zum Hinschauen einladen – dann aber ebenso zur Kommunikation auffordern wie die Dokumentarfilme. Das kann manchmal auch zu schmerzhaften Entscheidungen führen, indem man Filme nicht auswählt, die einen erst einmal ungeheuer amüsieren.

Was bedeutet das Filmfest für Eberswalde?
Eberswalde hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung erlebt. Kultur trägt hier zur Bildung einer Zivilgesellschaft bei und ist mehr als Unterhaltung und Kreativwirtschaft. Das ist ein schöner Prozess, der allen gute Laune macht, die daran teilhaben können. Die Übergänge zwischen dem Publikum und den Kulturakteuren sind fließend, und alle verbindet das Gespräch. Das Filmfest hat dazu beigetragen und es macht auch viele ein bisschen stolz, dass wir so etwas haben. Außerdem genießen wir die Freiheit, die daraus resultiert, dass wir verschiedene Förderer und Sponsoren haben, die uns nicht hereinreden, wie wir das Festival ausgestalten.

Rein geographisch kann Eberswalde als Mittler zwischen Berlin und der Provinz, die ihr euch zum Thema gemacht habt, fungieren. Wo liegen die größten gegenseitigen Missverständnisse?
Die haben meiner Beobachtung nach abgenommen, schon ganz allgemein, weil auch der demografische Diskurs der Provinz gegenüber etwas offener geworden ist, wie mir scheint. Gut, es gibt immer wieder Gäste, die ankommen und sagen: Hey, das hätte ich ja gar nicht gedacht, ist ja ein richtiges Filmfest hier! Dann denke ich immer: na was habt ihr denn gedacht?
Wenn etwas hakt, dann ist es die Hierarchie der Festivals überhaupt: große Wettbewerbe kleine Wettbewerbe, Premierenfestivals, profitable Festivals… Da müssen wir manchmal um Anerkennung kämpfen – als Wettbewerb, der vielleicht nicht so viel professionelle Reputation verleihen, dafür aber mit Sorgfalt, vernetzter Kommunikation und einem intensiven Publikumskontakt den Filmemachern echtes Feedback geben kann. Ich habe bei großen Festivals Filmgespräche erlebt, die waren so oberflächlich, da wusste man manchmal nicht, ob sich die Moderatoren überhaupt eine eigene Haltung zu dem Film erarbeitet hatten. „Wie kommt man auf die Idee zu so einem Film?“ – Solche und ähnlich ratlose Fragen würden wir eigentlich immer vermeiden. Unsere Filmgespräche werden von den Leuten gemacht, die die Filme auch ausgesucht haben. Das ist der Vorteil der kleinen Formate. Dafür können wir natürlich nicht so viele Filme zeigen und es hat bei uns auch keinen Sinn, schon am Vormittag mit den Vorstellungen anzufangen. Das ist für die Leute aus der Filmwirtschaft natürlich schade.

1 2 3