Das Regie-Duo Veronika Franz und Severin Fiala im Interview zu ICH SEH ICH SEH

Das Schweigsame eint uns mit Haneke



Gab es einen Punkt, an dem es intendiert war, dass das Publikum sich endgültig auf die Seite der Mutter oder der Kinder schlägt?
Franz:
Wir wollten, dass das Publikum am Anfang auf der Seite der Jungs ist. Wir erzählen auch aus der Perspektive der Kinder. Dann verkehrt sich das Täter-Opfer Schema, weil jeder Mensch Täter und Opfer ist. Damit muss man sich beschäftigen, finde ich.

In Besprechungen des Films wurden die Jungs oft die „dämonischen“ Kinder genannt.
Fiala:
Eigentlich sind sie liebende Kinder, die die Mutter wiederhaben wollen. Es geht darum, dass die Welt für Kinder und Eltern eine andere ist. Wenn man nicht kommuniziert, geht sich das halt nicht aus. Dann besteht die Möglichkeit einer völligen Katastrophe.
Franz: Genau. Eben weil sie nicht genug kommunizieren. Es hat ja auch Gründe, warum das so ist. Es ist ein sehr schweigsamer Film geworden, viel miteinander gesprochen wird nicht. Wir glauben, dass das etwas sehr österreichisches ist. Wenn uns die Leute auf Michael Haneke ansprechen, sagen wir immer, dass das Schweigsame das ist, was uns eint. In unseren Filmen geht es um Nicht-Kommunikation. Das dürfte auch tatsächlich etwas sein, das in Deutschland anders ist als in Österreich. Die Menschen kommunizieren direkter und klarer.
Herbert Grönemeyer hat mal gesagt, er fürchtet sich so, weil er nicht weiß, ob die Menschen in Österreich das, was sie zu ihm sagen, ernst meinen. Die Art des Hintenherum-Kommunizierens, das war Grönemeyer aus Deutschland nicht gewohnt. Das finde ich sehr symptomatisch. Wir sprechen viele Dinge nicht aus. Und was wir in den Untergrund drängen, kommt eben irgendwann zurück.
Fiala: Um diesen Untergrund geht es uns auch in ICH SEH ICH SEH. Darum, was sich unter den Oberflächen verbirgt. Die Oberfläche kann das Gesicht sein, die Maske, das Haus, das verdunkelt wie ein Gefängnis anmutet. Es geht immer darum, was perfekt und schön ausschaut, kann im Inneren trotzdem brodeln und wimmeln. Wie mit den Schaben im Film.

Die Gewaltdarstellung im Film ist sehr explizit, gleichzeitig aber sehr ästhetisch. Entstanden die genauen Bilder schon beim Schreibprozess oder erst in Zusammenarbeit mit dem Kameramann am Set?
Fiala:
Beim Schreiben war uns erst einmal nur wichtig, den Anfang in der Kinderperspektive zu erzählen. Wir haben uns gefragt, wie Kinder die Welt sehen, was ihnen wichtig ist. Welche Fantasien, Träume und Alpträume haben sie. Wie sehen sie Licht und Schatten und Realität. Wir wollten das abwechselnd zeigen, ohne dass Realität und Traumwelt klar voneinander getrennt sind.
Franz: Es soll schon eine Art Märchenwelt sein. Der erste Teil ist mehr der atmosphärische. Wenn ich das Wort ästhetisch höre, denke ich eher an die ersten beiden Drittel. Im letzten Drittel ändert sich die Tonart des Films. Er wird härter und auch heller. Wir haben mit einer Handkamera gedreht, da ändert sich der Stil. Wir wollten im letzten Drittel unbedingt diesen Bruch. Das war uns schon beim Schreiben ganz klar.
Fiala: Unser Kameramann mochte das Drehbuch sehr und wollte auch immer sehr nah dranbleiben und wir waren da eher spontan. Das Team hat sich schon über uns lustig gemacht, weil wir kein Buch am Set hatten.
Wir bemühten uns am Set für die Kinder, trotz der düsteren Thematik, eine lustige, angenehme, freie Stimmung zu haben. Es wurde schon getuschelt, man wäre noch nie auf einem so „antiautoritären“ Filmset gewesen.
Franz: Um „Antiautorität“ haben wir uns jetzt nicht bemüht. Aber wir wollten, dass alle motiviert waren, für diesen Film zu arbeiten.
Fiala: Wir glauben, dass es die Aufgabe des Regisseurs ist, für alle Aufgaben die gleiche Energie aufzubringen. Als Regisseur beschäftigt man sich vielleicht gerne mit Schauspielern oder dem Kameramann, aber es gibt so viele kleine, mühsame Arbeiten, bei denen man sagen könnte, „das ist doch völlig egal“ und das ist es für den Film wahrscheinlich auch, aber was es völlig zerstört, ist den Mitarbeiter, der sich außer dem Regisseur noch mit dem Problem befasst. Wenn die Requisiteurin eine Nagelschere für eine Szene besorgen soll und sie kommt dann mit einem Schuhkarton voller Nagelscheren, 120 Stück oder so ähnlich. Wir könnten sagen, nimm irgendeine, aber wofür hat sie sich dann die Arbeit gemacht? Also setzen wir uns hin und suchen aus 120 eine Nagelschere aus und entscheiden, welche die beste ist. Und das muss man als Regisseur eben mit allem machen.

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