„Fern von Religion und Politik ist die Weihnachtszeit eine clevere Konstruktion und Konditionierung“: André Kirchner über das 7. Weihnachtsfilmfestival

Saisonaler gehts nicht: Vom 18. bis 21.12. konterkariert und/oder ergänzt das Weihnachtsfilmfestival wieder das prall gefüllte Berliner Vorweihnachtsprogramm mit oftmals schrägen Takes auf das Fest der Nächstenliebe. Wir haben mit André Kirchner gesprochen, der das Festival zusammen mit Teresa Vena leitet.
Sieben Jahre Weihnachtsfilmfestival! Ihr haltet euch wacker. Wie ist euer Resümee nach dieser Zeit – wie sind die Reaktionen, die Wahrnehmung des Festivals in der Stadt?
André Kirchner: Sieben Jahre, das ist selbst für mich kaum zu glauben. 2016 haben Teresa Vena und ich das Festival ins Leben gerufen und schnell gemerkt, dass die eher alternativen filmischen Beiträge zum Thema Weihnachten besonders reizvoll sind. Eben alles, was man in dieser Form im TV oder Streaming nicht zu Gesicht bekommt. So ist im zweiten Jahr der Untertitel „Internationales Festival der unkonventionellen Weihnachtsfilme“ hinzugekommen. Mittlerweile weiß unser Publikum denke ich in etwa, was sie bei unserem Festival erwartet. Dabei bemühen wir uns möglichst viele und unterschiedliche Blickwinkel abzubilden, die von wohlwollend bis kontrovers reichen. Jedes Jahr sind wir aufs Neue überrascht von den Themenwelten der Einsendungen. Diesmal waren es knapp 1900. Wir versuchen die gemütliche Atmosphäre im Kino Moviemento beizubehalten, was gerade bei Gesprächen zwischen Filmschaffenden und Publikum eine besonders nahbare Atmosphäre schafft. Neu ist, dass wir das Weihnachtsfilmfestival im Zweijahres-Rhythmus ausrichten: Ein Jahr Festival, ein Jahr Specials. So hatten wir 2024 das Queer Advent Special und das Animation Special. Dieses Konzept erlaubt uns auch einmal ganz fokussiert Filmbeiträge zu präsentieren. Jetzt sind wir natürlich sehr gespannt auf die kommende reguläre siebte Ausgabe.
Ihr habt dieses Jahr zwei Filme aus dem ehemaligen Jugoslawien im Programm. Fast schon ein Schwerpunkt.
André: Das ist purer Zufall. Beim Sichten schauen wir nicht auf Filmographie oder Herkunftsland, nur auf die Inhalte und Umsetzung der Filme selbst. Die beiden Beiträge könnten unterschiedlicher kaum sein. Während im Drama „When Santa Was a Communist“ von Emir Kapetanović, basierend auf wahren Begebenheiten, eine Theatergruppe mit einem Stück über den Weihnachtsmann Groll unter den BewohnerInnen der zerklüfteten Kleinstädte Bosniens und Herzegowinas entfacht, geht es im Thriller „The Uncle“ von David Kapac und Andrija Mardešić um ein psychologisches Katz- und Mausspiel, in dem ein Onkel aus Deutschland eine Familie mit allen Mitteln zwingt ein perfektes Weihnachten zu veranstalten. Was beide Filme eint ist der Hang zum schwarzen Humor, den man generell braucht, um die Festtage zu überstehen.

Die 7. Ausgabe erscheint mir – in Sachen Langfilm – als ein relativ unblutiger Jahrgang. Woran liegt das?
André: Oh, Genretag bleibt der Freitag, in dem Fall der 19. Dezember. Wenn in den „Merry Madness“ Kurzfilmen der Weihnachtsmann zum Auftragskiller wird, ein Schneemann in einem Skiresort UrlauberInnen malträtiert oder uralte Yule-Monster beschwört werden fließt schon eine gehörige Portion Kunstblut, natürlich mit einem großen Augenzwinkern. Auch im anschließenden Horrorfilm „Sankta Lucia“ wütet eine Mörderin durch die verschneiten Straßen Stockholms und verleiht Schwedens wohl bekanntesten Winterfeiertag einen blutigen Anstrich. Filmemacher Viking Almquist wird anwesend sein und zu seiner Hommage an die weihnachtlichen Slasher der 1980er Jahre, die liebevoll noch auf analogem Film gedreht ist, berichten.
Ihr habt auch einige Kurzfilmrollen am Start, was können wir erwarten?
André: Insgesamt 40 Kurzfilme zeigen wir dieses Jahr. Dabei versuchen wir die Programme in Themen zu bündeln. Im „Merry Madness“ Programm nehmen wir uns der dunklen Seite der Weihnachtszeit an. Die „Custom Customs“ Kurzfilme behandeln den Umgang mit Traditionen und Bräuchen auf sehr diverse Weise. Praktische Lebenstricks in der für manche schwierigen Weihnachtszeit liefert das „When Life Gives You Lemons“ Programm. Und in den „We Need to Talk“ Kurzfilmen dreht sich alles um das Thema Kommunikation. Wir freuen uns sehr, dass viele Filmschaffende zu den Programmen anwesend sind, konkret aus Frankreich, Finnland, Schweiz, Deutschland und den USA, und auf die gemeinsamen Gespräche.

Was sind Highlights im Programm?
André: Alle Beiträge sind auf ihre ganz eigene Weise großartig. Aber ich möchte gerne Eröffnungs- und Abschlussfilm hervorheben. Das Weihnachtsfilmfestival startet mit Ken Wardrops Dokumentarfilm „So This Is Christmas“. Wunderschön bebildert und mit feinfühligem Humor werden fünf Haushalte einer irischen Kleinstadt portraitiert, die ihre Sorgen und Wünsche in der Vorweihnachtszeit teilen. Zum Abschluss des Festivals zeigen wir die internationale Premiere der niederländischen Ensemble-Komödie „This Is Not a Christmas Movie“ von Michael Middelkoop. In der Familie Swan haben alle so ihre Probleme: entweder sie wurden ‚gecancelt‘, suchen ihre Männlichkeit, sind nicht so richtig treu oder hadern mit Aufgeschlossenheit. Brachial ehrlich erzählt, lässt der Film einen Blick auf eine Familie zu, die eventuell auch die eigene sein könnte.
Weihnachten erscheint dank „Decolonizing Christmas-„Debatte ja in diesem Jahr schon fast als ein Fest der Kontroversen. Inwiefern bilden Weihnachtsfilme auch weltanschauliche Trends und Diskurse ab?
André: Fern von Religion und Politik ist die Weihnachtszeit eine clevere Konstruktion und Konditionierung. Beginnend ab 1. September, wenn die Lebkuchen im Regal stehen, wird Druck aufgebaut: Kaufen, brav sein, heile Welt. Ich denke unsere Programme zeigen sehr gut, dass dieses Schema nicht so recht funktioniert. Dass wir uns in einer Zeit des Unmutes befinden, zeigt sich euch in einigen Themen der Filmbeiträge, wenn es etwa um Zukunftsängste, finanzielle Nöte, soziale Isolation oder Suizidgedanken geht. „When Santa Was a Communist“ schildert auf eindrucksvolle Weise das post-faktische Zeitalter und die merkwürdigen Mechanismen der Meinungsbildung, wenn hier die scheinbar harmlose Geste mit dem Weihnachtsmann den Kindern eine Freude zu bereiten, instrumentalisiert und politisch aufgeladen wird und ganze Dörfer in Rage bringt. Im Kurzfilm „Black Santa“ kämpft ein Kaufhaus-Weihnachtsmann mit Diskriminierung und im kurzen Dokumentarfilm „I Sharing“ sieht sich die Filmemacherin zum Festtagsessen im polnischen Heimatort mit Homophobie konfrontiert. Die Weihnachtszeit ist nicht nur ein Staudamm für Konflikte, Missverständnisse und Emotionen, sondern auch ein Resümee des endenden Jahres und wir versuchen dieses durch unser Programm zu skizzieren.