Interview mit Türkische Filmwoche-Leiter Selcuk Sazak


Festivalleiter Selcuk Sazak

Die Türkische Filmwoche Berlin zeigt vom 3. bis 12. Juni in den Kinos Cinéma Paris, Babylon und Broadway aktuelle Arthouse-Filme aus der Türkei. Wir sprachen mit dem Festivalleiter Selcuk Sazak über die mittlerweile 8. Ausgabe, die Auswahl der Produktionen und die Wahrnehmung der türkischen Filmkultur in Deutschland.

Berliner Filmfestivals: Wie überzeugt man Klaus Wowereit die Patenschaft für ein Festival zu übernehmen?
Selcuk Sazak: Man braucht ihn gar nicht zu überzeugen. Er ist als Kultursenator leidenschaftlicher Filmfan und interessiert sich sehr für die türkische Filmlandschaft. Er übernimmt die Schirmherrschaft gerne und fragt uns gelegentlich während der Filmwoche, wie alles so läuft.

BF: Wie kam es zum diesjährigen Motto „Verbotene Liebschaften, kleine Sehnsüchte, große Träume“ ?
Sazak: In der Türkei werden, wie in anderen großen Filmländern auch, viele Filme produziert. Dementsprechend vielfältig sind die Themen, mit denen sich die Filmemacher beschäftigen. Dennoch kristallisieren sich jedes Jahr bestimmte rote Fäden raus. Inhalte, die einer großen Zahl von Autoren besonders am Herzen zu liegen scheinen. Im letzten Jahr haben sich überproportional viele Filme mit der Situation im Südosten der Türkei beschäftigt. Dieses Jahr sind es persönliche Erfahrungen – kleine Geschichten, die Rückschlüsse aufs große Ganze zulassen. Da geht es auch um Gesellschaft, um Politik. Aber eben nicht nur. Im Vordergrund stehen Bilder und Geschichten – und damit der Ursprung des Kinos, des Geschichten-Erzählens. Damit werden politische Botschaften nicht verflacht, sogar im Gegenteil: wenn es den Regisseuren gelingt, mehr Erzählung statt verfilmte Thesen zu produzieren, wird das Kino wieder attraktiver, samt der anschliessenden Reflektion.

BF: Die aktuelle Auswahl ist mit 17 Filmen überschaubar, dabei gilt die Türkei als Land mit einer vielfältigen Filmkultur. Ist das Programm nur eine Essenz? Wie wurden die Filme ausgewählt?
Sazak: Ein Filmfestival hat immer begrenzten Platz. Das liegt einerseits am Budget, andererseits an der Aufnahmekapazität der Zuschauer. Kommerzielle Filme, darunter viel gute Unterhaltung, manchmal aber auch Blödel-Shows, aus der Türkei laufen im normalen Kino. In den Wintermonaten kommt wöchentlich ein neuer Mainstream-Film aus der Türkei in Deutschland in die kommerzielle Auswertung, oft mit um die 50 Kopien. Unsere Auswahl fokussiert sich dadurch notwendigerweise auf den Arthausbereich. Wichtig ist es uns, deutsch-türkische Koproduktionen zu zeigen, wie „Men On The Bridge“ oder „Takiye – In Gottes Namen“. Und mit den rein türkischen Produktionen einen repräsentativen Überblick relevanter Filme zu geben – von Filmkunst wie „Bal“ über historische Stoffe wie „Yüregine Sor“, sensiblen Portraits wie „10´E 11 Kala“ – aber auch knallharten Grossstadttdramen wie „Kanimdaki Barut“.

BF: Wie wichtig ist die Filmwoche für die Türken in Berlin?
Sazak: Sehr wichtig. Als Treffpunkt. Zum Treffen mit den Autoren. Und vor allem für den Austausch mit dem deutschstämmigen Publikum, das inzwischen die Hälfte der Besucher der Filmwoche ausmacht.

BF: Haben Filme etwa von Fatih Akin den Blick der Deutschen auf die türkische Kultur verändert?
Sazak: Durch Fatih Akins Erfolge wurde türkische Kultur sicher salonfähiger. Interessant, dass er in der Türkei als türkischer und in Deutschland als deutscher Regisseur wahrgenommen wird. Ich würde sagen, er ist vor allem Hamburger. Für viele Kinogänger werden Türken in seinen Filmen erstmals sichtbar, zu wirklichen Personen, Individuen mit Geschichten, Träumen und Zielen. Das ist schon ein anderes Bild als das des Kebap-Verkäufers um die Ecke. Aber auch der Film ist, gesellschaftlich gesehen, nur eine Spielwiese wie Fussball, HipHop und Theater. Akins Filme sind so pointiert, dass sie ein grosses Publikum erreichen. Damit ist das Subjekt des Türken im Bewusstsein verankert – und zwar jenseits bierernster Polit-Klischees, sei es im Rahmen rassistischer Vorurteile oder politisch korrektem Mitleids.

BF: Hat sich der türkische Film in Deutschland etabliert?
Sazak: Dieses Jahr war der türkische Film international sehr präsent. Kommerziell ist die dortige Filmwirtschaft eine der international erfolgreichsten, und der Autorenfilm blickt auf eine lange Tradition zurück. Seit Yilmaz Güney (Regisseur von u.a. „Yol – der Weg“; Anm. d. Red.) liegt die Türkei bei Festivals im Zentrum der Aufmerksamkeit. In den letzten Jahren war sogar ein regelrechter Boom zu beobachten. Der „Goldene Bär“ 2010 für „Bal“ war sicher ein Höhepunkt. Übers Jahr gesehen brachten Filme wie die von Fatih Akin, Yesim Ustaoglus „Die Büchse der Pandora“ oder Nuri Bilge Ceylans „Drei Affen“ das türkische Kino in die Schlagzeilen. Das Filmfestival Hamburg hatte 2009 mehrere türkische Filme im Programm, und andere Festivals auch. In den Feuilletons ist das türkische Arthauskino zu einer festen Größe geworden. Vom Mainstreamkino, das von vielen türkischstämmigen Zuschauern gesehen wird, kann man das leider (noch) nicht behaupten. Filme wie „Ay Lav Yu“ oder „Die Drachenfalle“ haben auch ein Potential für deutschsprachige Zuschauer. Leider umwerben die Verleiher dieser Filme das deutsche Publikum nicht gut genug. Und den Deutschen selber mangelt es an der Neugier, da mal reinzugehen.

BF: Viele türkische Filme die hierzulande anlaufen – zuletzt „Die Fremde“ – thematisieren religöse und gesellschafliche Konflikte. Ist das nicht eine andere Art von Stigmatisierung?
Sazak: „Die Fremde“ ist ja ein deutscher Film. Und für türkische Filmemacher ist die Beschäftigung mit diesen Themen wichtig – Islamismus, Ehrenmorde, der türkisch-kurdische Konflikt: Das sind Themen, die in der Türkei ständig diskutiert werden. Für deutschstämmige Zuschauer dürfte interessant sein, wie offen türkische Filme diese Themen ansprechen. Es gibt kaum Tabus. Das wollen wir zeigen, und zur weiteren Diskussion anregen. Gleichzeitig zeigen die Filme auch, was selbstverständlich ist: Dass die Leute in der Türkei auch ganz normal leben, träumen, lieben, womit wir wieder beim Motto der diesjährigen Türkischen Filmwoche wären.

BF: Woran liegt es, dass es dennoch relativ wenige türkische Filme ins deutsche Kino schaffen?
Sazak: Wie gesagt, es laufen hier viele türkische Blockbuster, die für die Verleiher Gewinne abwerfen. Und im Filmkunstbereich haben sich Verleiher wie Mitos, Farbfilm oder Piffl türkischen Filmen angenommen. Der Anteil könnte größer sein, sicher, aber gucken Sie sich mal an, wie viele skandinavische Filme – eine Region, die ungefähr so bevölkerungsreich ist wie die Türkei und ähnlich viele Filme pro Jahr hervorbringt – in Deutschland ins Kino kommen.

BF: Auf welche Filme sollten die Zuschauer in diesem Jahr besonders achten?
Sazak: Ich fand „Zwei Sprachen, ein Koffer“ toll. Ein Dokumentarfilm über einen Türkisch-Lehrer, der im Südosten des Landes kurdische Kinder unterrichtet. Man spricht dort nicht die selbe Sprache. Da ist also viel subtile Ironie drin, auch Wärme und Sehnsucht – und ein schönes Portrait eines Lehrers zwischen Engagement und Verzweiflung. So wie Schule oft auch hier ist. Toll auch „10 vor Elf“ (10´E 11 Kala). Eine sensible Geschichte übers Altern. Und wer Istanbul mal anders erleben will, guckt sich „Men On The Bridge“ an.

BF: Erwartet sie Regisseure oder Hauptdarsteller?
Sazak: Ja, von fast allen Filmen.

BF: Wird es ein Rahmenprogramm geben?
Sazak: Ja, eine Podiumsdiskussion nach „Die Fremde“ am 11.Juni, an der auch Berlins Innensenator Ehrhart Körting teilnehmen wird. Ansonsten wird es nach den meisten Vorführungen Gespräche mit Regisseuren und Schauspielern geben. Parties und gutes türkisches Essen gibt es ja genug in Berlin, da wollten wir nicht noch etwas dazu-organisieren.

BF: Was wünschen sie sich für das aktuelle Festival?
Sazak: Viele Besucher, schlechtes Wetter, gute Diskussionen, dabei eine gute Mischung aus Humor und Ernst.

Interview: Martin Daßinnies