Was ist Heimat? – Localize-Festivalbericht


Filmszene: "Mobile"

„Heimat ist zunächst das Bedürfnis nach Raumorientierung, nach einem Territorium, das für die eigene Existenz Identität, Stimulation und Sicherheit bieten kann.“ So liest sich die Definition von Heimat in der Brockhaus Enzyklopädie. Heimat hat also keineswegs nur einen Bezug zu einem bestimmten Ort. Sie äußert sich vielfältig, in Gedanken, Erinnerungen, Emotionen, im sozialen Austausch und als Fundament der menschlichen Identität.

Dem Phänomen Heimat widmet sich seit drei Jahren auch das Potsdamer Festival „Localize„, das sich explizit als ein „Heimatfestival“ versteht. Gemeint ist damit eben nicht nur der räumliche Begriff. Vielmehr kombinieren die Initiatoren digitale Kunst mit Ausstellungen, Workshops, Performances, Lesungen und einem Kurzfilmwttbewerb. Damit dokumentieren sie eine Vokabel, die unerlässlich scheint für diesen Begriff: Kommunikation. Das veranschaulichte der Kurzfilmwettbewerb im Filmmuseum Potsdam, der am letzten Donnerstag (1. Juli) im Rahmen des Festivals stattfand.

Aufgeführt wurden neun Kurzfilme, vornehmlich von Studenten der Filmakademie Baden-Württemberg – was ein wenig überraschte, da sich die Organisatoren in diesem Jahr immerhin über 100 Filmeinsendungen freuten. „Ein Rekord“, wie Festivalorganisatorin Anja Engel vor vollem Haus erklärte. Die Filme wurden von einer vierköpfigen Jury zuvor begutachtet und ausgewählt: Das Oeuvre mag so gesehen und gemessen an den Einreichungen auf die Qualität und nicht die Herkunft ausgerichtet gewesen sein. Da passiert so etwas schon mal – und fällt trotzdem auf. Dennoch zeigten die neun Kurzfilme Menschen, für die Heimat ganz unterschiedliche Bedeutungen besitzt.

Olga Petrovas fünfminütiger Animationsfilm Marivanna bildete den gelungenen Start in den Abend. Sie berichtet eindringlich vom Leben ihrer Urgroßmutter und bebildert deren Werdegang mit ungewöhnlichen Bildern, die an die Grafik der frühen Atari-Konsolen erinnerte. Einzelne Lebensepisoden verknüpft die Regisseurin zu einem Porträt und setzt es ähnlich einem amerikanischen Quilt in Szene. Der Kurzfilm Steppenwölfe von Daniel Sager begleitet dagegen in knapp 20 Minuten zwei Obdachlose in Berlin. Heimatlos ist jedoch keiner von beiden. Der Ältere, Bernd, hat sich in seiner „Naturverbundenheit“ eingerichtet, wie er selbst sagt und haust unter einer Brücke. Hardy dagegen kämpft sich durch seine Drogensucht und findet schließlich wieder zu einem „geordneten“ Platz. Einer Wohnung, die ihm unter Mithilfe des Filmteams vermittelt wurde, wie der Abspann aufklärt.

Einen auf den ersten Blick klassisch anmutenden Blick auf das Phänomen Heimat wirft der Animationsfilm Urs von Moritz Mayerhofer. Urs, ein hünenhafter Kerl, lebt mit seiner alten Mutter zurückgezogen in einem verlassenen Dorf. Ohne Aussicht auf eine Zukunft, entschließt er sich schließlich gegen die Trostlosigkeit, schnallt sich sein zerbrechliches Mütterchen auf den Rücken und verlässt das ihm angestammte Heim, in der Hoffnung eine neue Heimat zu finden. Man lässt jedoch immer etwas zurück, scheint Mayerhofers Geschichte zu sagen und so endet sein Film in einem geradezu tragischen Glück. Eine neue Heimat, in der nur einer von beiden seinen Platz finden kann.

Der Dokumentarfilm Dancing with Lupita (Christian Fischer) ist dagegen die Momentaufnahme eines Mannes, der in der U-Bahn seinen Lebensunterhalt verdient. Er tanzt. Und das mit einer Frau – mit einer Puppe, die er extra zu diesem Zweck angefertigt hat. Daheim besitzt er zahlreiche Nachbildungen von Tanzpartnerinnen, die sich seinen Bewegungen ebenso unterwerfen wie seinem eigenwilligen Beruf. So skurril diese Szenerie anmutet, so praktisch funktioniert sie: Menschen, die in den Augen anderer auf etablierten Wegen scheitern, schaffen sich Parallelwelten, in denen sie existieren können. In diesem Fall ist es eine plastische Welt ohne Weiblichkeit und eine Welt, die sich ohne Widerspruch im selben Rhythmus ihres Erschaffers bewegt.

Filmszenen: "Ich bin´s Helmut"

Mobile, ein weiterer Animationsfilm, zeigt eine weitere Facette von Heimat. An einem Mobile hängend, eigentlich zur Belustigung von Säuglingen gedacht, entdeckt ein Stofftier, eine Kuh, seine Isolation und versucht, auf die andere Seite des Spielzeugs zu den anderen Tieren zu gelangen. Verena Fels Kurzfilm ist hervorragend inszeniert, witzig und überzeugend in seiner geradezu entlarvenden Leichtigkeit. Ich bin´s Helmut dagegen zeigt seine Komik in Zwischenräumen. Ein Mann feiert seinen 60. Geburtstag und erkennt, wie Formelhaft ein Leben im Kleinbürgerlichen ist. Regisseurin Anna-Luise Dietzel konstruiert keine Geschichte, sie konstruiert geschickt Collagen – die Kulisse einer Lebenswirklichkeit, die nach und nach in sich zusammenfällt.

Die Dokumentation Musik und ein bisschen Melone begleitet eine Gruppe von blinden Musikern, die, so denn man es so interpretieren will, in der Musik Halt und Geborgenheit gefunden haben. Die große Leistung des Regisseurs Korbinian Duftler liegt aber nicht nur in einer anderen Version von Heimat. Seinem in schwarzweiß gehaltenem Porträt liegt eine visuelle Genauigkeit zugrunde, die sich nicht am Aussergewöhnlichen ergötzt, sondern die Eigentümlichkeit eines jeden Menschen aufzeichnet.

Selbst die Preisverleihung im Anschluss brachte einen weiteren Aspekt von Heimat hervor: Den Anspruch des Kritikers, bzw. der Jury. Die Auswahl der Preisträger (1. Platz: Ich bin´s Helmut, 2. Platz: Steppenwölfe, 3. Platz: Musik und ein bisschen Melone) bewies ziemlich genau, dass ein Film, der zum Lachen verführt, selten eine Jury verzückt. Ganz im Gegensatz dazu die Schwere einer Erzählung. Je abstrakter der Anlass oder aufrüttelnder der Anspruch, hier darf es ruhig diametral zugehen, um so nachhaltiger scheint der Film im Kopf des Kritikers zu wirken. Das ist nicht nur berechenbar, es ist auch all zu schulmeisterhaft. Vielleicht wurde deshalb kurz vor Schluss auch noch ein vierter Gewinner vom Organisationsteam des Festivals ausgelobt: Marivanna von Olga Petrova. Mobile hätte es ebenso verdient gehabt.

Martin Daßinnies

Film: Dancing with Lupita

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