Fantasy Filmfest-Kritik: „A Field in England“ von Ben Wheatley


"A Field in England": Drogenrausch in Schwarz-Weiß. Foto: MFA + Filmdistribution

"A Field in England": Drogenrausch in Schwarz-Weiß. Foto: MFA + Filmdistribution

Psychedelischer Kriegstrip

Shrooms, Schlachtfeld, Schwindel: Pilze und Krieg sind kein harmonisches Paar. Zu unberechenbar ist der Trip, der von der völligen Katatonie bis zum halluzinogenem Aktionismus reichen kann. Ein noch weitaus schrägeres Szenario ist indes der englische Bürgerkrieg als Drogenrausch, den „A Field in England“ (GB, 2013) thematisiert– das Klischee des zugeknöpften Engländers und der totale, entgrenzte Kontrollverlust passen auf den ersten Blick nicht zusammen.

Kein Wunder, dass sich Ben Wheatley dieses ungewöhnlichen Themenpaars mit „A Field in England“ angenommen hat. Das britische Arthouse-Wunderkind hat sich in den letzten Jahren mit der schwarzen Komödie Sightseers und dem Horror-Schocker „The Kill List“ bestens positioniert, um kulturelle und nationale Narrative aus ihren alten, normativen Gewändern zu schälen. In „The Kill List“ wurde ein harmonisches, britisches Familienbild gnadenlos aufgeschlitzt, während Sightseers“ das Klischee des naturliebenden, sozialen Campers dekonstruierte. Nun also auch noch ein Gründungsmythos des Empire, der die ersten demokratischen Strukturen hervorbrachte.

17. Jahrhundert, der englische Bürgerkrieg tobt. Whitehead ist Alchemist und desertiert vor den Augen seines Herren.  Auf einem weiten Feld trifft er zwei weitere Deserteure, Friend and Joseph – zusammen machen sie sich auf, ein Pub zu finden. Doch ihre Wanderung wird durch den Iren O’Neill unsanft beendet: Die drei werden gezwungen, nach einem undefinierten Schatz zu buddeln, mitten auf dem Feld. Eine Suche, die durch den Genuss von Pilzen sowohl einerseits rauschartig befördert wird – Whitehead sucht wie eine besessene Kreatur an O’Neills Leine den Schatz –  und andererseits lähmende Lethargie auslöst. Obwohl oder eben weil Whitehead im Drogenrausch gefangen ist, gelingt es ihm, die Ketten seines zweiten, ebenso unwillkommenen Herren zu sprengen. Und all das ganz in Schwarz-Weiß.

Von Heroismus, Courage oder politischem Veränderungswillen ist dabei in „A Field in England“ überhaupt nichts zu spüren. Die Protagonisten ziehen das Ale im nächsten Pub der kriegerischen Schlacht vor, die Puritaner erscheinen nun endgültig als realitätsferne Elite und Loyalitäten innerhalb der Zwangsgemeinschaft sind Eintagsfliegen. Nur die Todesangst vor dem teuflischen O’Neill eint die Deserteure von Zeit zu Zeit – und der Pilz-Konsum. Die drogeninduzierten Rauschzustände werden im Laufe des Films sowohl visuell als auch akustisch auf die Spitze getrieben: Die streckendweise minutenlange, surrealistische Slowmotion wird durch ein ausgetüfteltes und bisweilen unglaublich enervierendes Sounddesign untermalt. Das im 17. Jahrhundert weit bekannte Pamphlet, Gedicht und Lebensgefühl „the world turned upside down“ erhält so eine ganz neue Bedeutung.

Die überbordende Freude, mit der Wheatley seine Figuren der Lächerlichkeit preisgibt und das Tragische ins Absurdkomische à la Beckett verkehrt, sind die größten Stärken dieses abstrusen Werks, das auf dem Karlovy Vary Festival mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde. So stellen beispielsweise die letzten Worte eines Protagonisten, der seiner Frau ausrichten lässt, dass er sie sein Leben lang gehasst und hintergangen hat, ein besonders komisches Highlight dar. Und trotzdem: Der schnelle Genrewechsel von Drama, Komödie und Horror lässt einen erstaunlich kalt. Nie ist der Plot fesselnd oder die Spannung unerträglich, nie ist der Wortwitz so ausufernd, als dass Wheatleys Film das Publikum ganz gefangen nehmen würde. Das visuelle und thematische Stilexperiment bleibt vor allem ein Experiment um seiner selbst willen. „A Field in England“ mag ein amüsanter Trip ohne psychische Nebenwirkungen sein, aber es lohnt nur bedingt, ihn einzuschmeißen. Irgendwie kickt er einfach nicht richtig.

Marie Ketzscher