„Herr Wichmann aus der dritten Reihe“ von Andreas Dresen


Herr Wichmann: Echte Maloche an der Basis, Foto: Piffl Medien

Herr Wichmann: Echte Maloche an der Basis, Foto: Piffl Medien

Demokratie in rauer Praxis

Wer ist Herr Wichmann? Henryk Wichmann ist 33, Mitglied der CDU und seit 2009 Oppositionsabgeordneter im Brandenburger Landtag. Andreas Dresen hat bereits zwei Filme über ihn gedreht, der aktuelle, „Herr Wichmann aus der dritten Reihe„, startet nun in den Kinos. So viel zur Faktenlage. Herrr Wichmann ist Politiker – Provinzpolitiker, um genau zu sein. Und als solcher muss er sich mit allerlei Nöten herumschlagen. Da wäre zum Beispiel der Schreiadler, der einzige echte Adler in Norddeutschland, dessen Bestand hierzulande stark gefährdet ist. Eine dramatische Situation für Vogelschützer und die letzten verbliebenen etwa 110 Brutpaare. Ersteren ist es erfolgreich gelungenen, einem seit acht Jahren geplanten Radwegausbau zwischen Berlin und Usedom entgegenzuwirken. Konsequenz: Interessen kollidieren, Herr Wichmann soll vermitteln.

Auch Züge, die am kleinen Bahnhof Vogelsang zwar halten, sich aber weigern, die Türen zu öffnen, stehen im Terminkalender. Außerdem: Motzige Kaffeekränzchen mit Senioren, Schulbesuche, illegale Mülldeponien, das Beziehen neuer Büroräume, die obligatorische Parlamentsarbeit. Echte Maloche an der Basis also, die Herr Wichmann höflich und munter absolviert. Das allein ist schon ein wahres Seherlebnis, denn die Frage „Wie zur Hölle schafft es dieser Mensch, so verdammt ruhig zu bleiben?“ drängt sich mehr als einmal auf. Oder wie Dresen selbst feststellt: „Komischerweise ist er nicht frustriert. Ich finde, er hat eine Engelsgeduld und ist frei von Zynismus oder Sarkasmus. Das ist wirklich erstaunlich. Wir kamen manchmal aus Bürgergesprächen raus, wo ich wirklich sagen muss, da konnte ich nicht mehr. Ich habe dann zu ihm gesagt: ´Mann, wie hältst du das aus?!´ An einer Stelle sagt er im Film: ´Na ja, sonst hört sich das ja keiner an, was die Leute so für Probleme haben.´ Ich glaube, ihm macht das wirklich Spaß.“

Die wenigen Momente, in denen scheinbar auch Wichmann an seine Grenzen stößt, sind daher äußerst erleichternd zu beobachten: So werden Autofahrten zwischen Einsatzterminen mittels klassischer Musik zur Minutenkur, der Sekt vor der Sommerpause ist dringend nötig und während der Parlamentssitzung fallen auch mal böse Worte. Dennoch – auch in der bizarrsten Situation ist Dresens Portrait niemals hämisch oder frotzelnd. Vielleicht, weil Wichmanns Freiheit von Zynismus und Sarkasmus dem Regisseur nicht nur sympathisch ist, sondern ebenfalls vertraut. Filme wie „Halbe Treppe“ (2002), „Sommer vorm Balkon“ (2005), „Wolke Neun“ (2008) oder zuletzt „Halt auf freier Strecke“ (2011) kommen ihren Figuren ähnlich nah, ohne distanz- oder respektlos zu sein. Lustig sind sie trotzdem.

Und auch „Herr Wichmann aus der dritten Reihe“ ist das. Sogar sehr. „Das geht bis zu einer kaputten Heizungsanlage, um die er sich kümmert, wo man sich wirklich fragt: In welche Abgründe des täglichen Lebens muss er denn noch runter? Irgendwie hatte ich mir die alltägliche Politik ein bisschen konzeptioneller vorgestellt, mit größeren Bögen. Dass es dann so ins Detail geht, hätte ich nicht erwartet.“, resümiert Dresen nach einem Jahr Beobachtung unverdrossener Lokalpolitik. Machen möchte man Wichmanns Job dennoch nicht. Aber es ist gut, dass ihn jemand macht. „Wenn plötzlich so ein Zug in Vogelsang die Türen wieder öffnet, könnte man jetzt sagen, das ist ja nun ein sehr schmaler Triumph. Aber für die Leute vor Ort ist das nicht so. Immerhin können etliche Kinder jetzt wieder stündlich mit dem Zug zur Schule fahren.“ Was mit dem Schreiadler passieren wird, der Bartmeise, den Rundfunkgebühren für Kleingärtner oder den regionalen Polizeiwachen? Henryk Wichmann jedenfalls bleibt dran.

Carolin Weidner

Herr Wichmann aus der dritten ReiheRegie/Drehbuch: Andreas Dresen, Kinostart: 6. September 2012