„Leb wohl, meine Königin!“ von Benoît Jacquot


Filmszene: "Les Adieux à la reine"

Filmszene: "Les Adieux à la reine"

Die Ohnmacht der Beherrschten

Macht blendet, Macht zieht an. Das ist eine sehr triviale Aussage, aber darum geht es nun mal in „Leb wohl, meine Königin!„. Wir befinden uns am Versailler Hof, als die Französische Revolution ausbricht. Angezogen und geblendet von der Macht ist vor allem die Dienstmagd Sidonie Laborde, die eigentliche Hauptfigur des Films. Sie ist die Vorleserin der Königin und hält viel darauf, besser zu sein als die anderen Mägde, die nur mit ihren Händen am Hofe arbeiten. Die eigentliche Hauptfigur ist sie einerseits, weil die ganze Geschichte aus ihrer Sicht erzählt wird. Andererseits, weil die Schauspielerin Léa Seydoux ihrer Figur einen Ausdruck verleiht, der den Zuschauer trotz des schwachen Plots hin und wieder ein wenig berührt. Das kann man von Diane Kruger und ihrer Marie Antoinette leider nicht behaupten. Sie spielt die Königin so theatralisch wie einfallslos, changierend zwischen zu verhalten und überspannt.

Interessant ist der Blickwinkel aus der Perspektive der Vorleserin. Er wirft Licht auf das Leben der Dienstboten am Hof, wie sie sich eine Nische schaffen in dem engen Raum, den die Nähe zu den Mächtigen ihrem Privatleben noch lässt. Freundschaften werden geknüpft, Liebschaften gepflegt oder gewechselt. Auf jeden Fall muss man zusammenhalten. Als Gerüchte über den Sturm auf die Bastille aufkommen, gerät die Dienerschaft in Aufregung. Was bedeutet das für sie selbst? Was soll mit Ihnen geschehen? Die Herrschaft sprich freilich nicht mit ihnen über die Vorgänge da draußen. Also müssen Informationen wie Schmuggelware getauscht werden. In einem Nebensatz lässt sich die Königin dazu herab, ihrer Vorleserin vage zu versichern: „Ich lass Dich schon nicht im Stich“. Das muss reichen. Hier hätte Potenzial für einen Film gesteckt, der etwas über die Willkür des Herrschens und die Ohnmacht der Beherrschten erzählt. Dann hätte man vielleicht von einem Film über eine Revolution sprechen können.

Doch die Regie hat sich entschieden, die eigentliche Hauptfigur mit einer Naivität gegenüber der Macht auszustatten, die sie dem Zuschauer fern hält. In den Vordergrund drängt sich die Geschichte der jungen Vorleserin, die die Königin über alles liebt und bewundert und am Ende feststellen muss, dass ihre eigene Person für die Königin lediglich Staffage ist. Was so liebenswert sein soll an dieser infantil verschwenderischen Königin, kann sich der Zuschauer kaum erklären. Außer eben damit: Macht blendet, Macht zieht an.

Hinter dieser so gar nicht bewegenden Geschichte wird die Stimmung am Hofe durchaus kunstvoll gezeichnet. Wie in einem bösen Rausch irrt Sidonie durch dunkle Gänge voller Menschen, nur wenig mit Kerzenlicht beschienen. Hier steht man und wartet auf Neuigkeiten (man kann ohnehin nicht schlafen). Hier werden die Köpfe ausgezählt, die rollen sollen. Eine schwarze Liste kursiert, auf der die zum Tode verurteilten sorgsam durchnummeriert sind, nach Dienstgrad und der Wut des Volkes.

Doch auch diese Szenen rechtfertigen nicht den Bezug zum „Arabischen Frühling“, den Festivalleiter Dieter Kosslick für den Film so gerne herstellt. Dies ist ein Film über die Mächtigen, die stürzen, und über das, was dabei in ihrem Umfeld geschieht. Welche Gründe zum Fall der Herrschaft führen, spielen dabei keine Rolle. Insofern wäre jeder nach dem letzten Frühjahr gemachte Film, in dem Mächtige fallen, auch ein Film über den „Arabischen Frühling“. Lächerlich.

Dieter Kosslick brauchte wohl eher eine Rechtfertigung für die Wahl des Eröffnungsfilms der Berlinale 2012. Lässt man diese nicht gelten, bleibt die Frage bestehen: Warum bloss wird ein so belangloser Streifen Eröffnungsfilm der Berlinale, eines Festivals, dass sich obendrein als politischstes aller großen Festivals inszeniert? Wollen wir hoffen, dass die Jury des Wettbewerbs eine nachvollziehbarere Entscheidung trifft.

Berlinale-Gastbeitrag von Paricia Schwan von Off-Kino Berlin

Leb wohl, meine Königin!, Regie: Benoît Jacquot, Hauptdarsteller: Diane Kruger, Noémie Lvovsky, Virginie Ledoyen, Julie-Marie Parmentier, Xavier Beauvois, Léa Seydoux , Kinostart 31. Mai 2012