„Lincoln“ von Steven Spielberg


Daniel Day-Lewis (Abraham Lincoln) und Tommy Lee Jones (Thaddeus Stevens) spielen sich gegenseitig an die Wand. Foto: Twentieth Century Fox

Daniel Day-Lewis (Abraham Lincoln) und Tommy Lee Jones (Thaddeus Stevens) spielen sich gegenseitig an die Wand. Foto: Twentieth Century Fox

Eine fragwürdige Trinität

Es gibt mehrere Möglichkeiten sich filmisch einer historischen Persönlichkeit zu nähern. Man kann den Ruf dieser Person, seine Affirmationsfläche in den Mittelpunkt stellen und so den guten oder schlechten Ruf verstärken. Man kann diesen Ruf völlig außer Acht lassen und den Menschen dahinter als Teil seiner Zeit betrachten, um so den entsprechenden Ruf zu  konfigurieren. Man kann den Ruf dieser Person auch den Menschen gegenüberstellen und so das Urteil der Allgemeinheit über ihn ändern. Abraham Lincoln taugt für alle drei Varianten. Der 16.Präsident der USA führte die Nordstaaten im Sezessionskrieg zum Sieg und beendete (wenigstens juristisch) die Legitimation für die Sklaverei.

Im Roman „Lincoln“ des im vergangenen Jahr verstorben Schriftstellers Gore Vidal verfolgt der Leser einen plumpen Anwalt aus dem mittleren Westen, der volkstümliche Anekdoten benutzt, um seine Gegner zu entwaffnen. Er litt unter chronischer Schlaflosigkeit und der Bürgerkrieg demoralisierte ihn so sehr, dass er im eroberten Richmond seinen Vertrauten das Weiterführen des Krieges nur mit den Worten begründen konnte:“no justice, or anything else now. It is fate that guides us all – and necessity.“ Lincoln sah sich (in den Augen Vidals) als Märtyrer und seine Lebensaufgabe war die Wiedervereinigung seines Landes – nicht die Beendigung der Sklaverei. Steven Spielberg sieht und inszeniert das freilich etwas anders. Wenn man sich seine Filmographie anschaut, wundert es nicht, dass er sich gerade diesen Präsidenten für eine Verfilmung ausgesucht hat und es wundert auch nicht, dass dieser Streifen „Geschmack“ hat. Seine Filme kann man beinahe samt und sonders einer Ur-Geschichte unterordnen:  Am Anfang steht ein Konflikt in der Familie, ein Zerfall, ein Streit der Eheleute, eine Widerlichkeit gegenüber den Kindern. So entlässt der bürgerliche Innenraum seine Menschen in die Kälte und in die Katastrophen. Es mag sich dabei um Kämpfe gegen weiße Haie, Duelle mit geheimnisvollen Autofahrern, Begegnungen mit Außerirdischen, Schatzsuchen und Abenteuerreisen, Bürger- oder Weltkriege handeln. Stets steht das entborgene Individuum allein gegen Zeichen und Gefahren, die nicht vollständig von dieser Welt sind.

Auch „Lincoln“ steht für ein Kino, das von der bigotten Vorstadtfamilie ebenso akzeptiert wird wie von den urbanen Einwandererfamilien. Das gelingt ihm aber nur zu dem Preis unvollendeter Geschichten. Der Kitsch seiner Auflösung steht auch hier in keinem Verhältnis zur Radikalität und Schwere der Frage. Seine Bildsequenzen nehmen Alltagsrealität und Machtverhältnisse nur präzise auf, um sie am Ende in ordentlich Zuckerguß zu tauchen. Daniel Day-Lewis (Abraham Lincoln) und Tommy Lee Jones (Thaddeus Stevens) spielen sich gegenseitig an die Wand, nur um am Ende als nette alte Zausel vorgeführt zu werden. Sicherlich, Thaddeus Stevens war zu seiner Zeit ein unerbittlicher Gegner der Sklaverei, jedoch ist wohl sein bekanntester Ausspruch: „Um Leben zu können, müssen alle Faktoren, die dabei Stören könnten, ausgeschaltet werden.“ Ihn störten die Südstaaten. Es war auch er, der Kriegsverbrechen der Unionstruppen gegenüber der Zivilbevölkerung der Südstaaten billigend in Kauf nahm.

Selbstredend ist davon im Film von Spielberg nichts zu finden. Lässt man die ungenaue Spiegelung historischer Tatsachen außer acht, ist Tommy Lee Jones eine beeindruckende Verkörperung des „großen einfachen Bürgers“ gelungen. Darüber darf man sich freuen. Schließlich darf er nicht allzu oft seine schauspielerischen Qualitäten unter Beweis stellen. Der Sieg der Gewalt wird auch in diesem Spielberg-Film nicht als Triumpf gefeiert. Seine Helden sind nicht stark, groß, proletarisch, sondern schlau, klein und bürgerlich. Seine Figuren möchten es gerne vermeiden, aber sie können nicht anders, sie müssen reflektieren. So sitzen Lincoln und Thaddeus Stevens in mehreren Einstellungen in ihren abgedunkelten Büros. Über den Details einer Fragestellung brütend, müssen die Ehefrau oder der Sekretär dann die Figur ins Bett und damit in den Szenenwechsel führen. Somit möchte „Lincoln“ familiär, humanistisch und amerikanisch sein. Es ist nicht Spielbergs Schuld, aber irgendwie nimmt man diese Trinität nicht mehr ernst.

Joris J.

Lincoln Regie: Steven Spielberg, Darsteller: Daniel Day-Lewis, Tommy Lee Jones, Joseph Gordon-Levitt, Jackie Earle Haley, Michael Stuhlbarg, Kinostart:  24. Januar 2013