„Neighbouring Sounds“ von Kleber Mendonça Filho


"Neighbouring Sounds": Im Auge eines gesellschaftlichen Wirbelsturms. Foto: Around The World in 14 Films

"Neighbouring Sounds": Im Auge des gesellschaftlichen Wirbelsturms. Foto: Around The World in 14 Films

Masters and Servants

Wachhunde bellen, Nachtwächter schlafen und Bodyguards können schon mal selbst zur Bedrohung werden. Regiert die Angst, regieren Kontrolle und Überwachung. Brasilien, die ehemalige portugiesische Kolonie hält auch in der Demokratie an ihren antiken gesellschaftlichen Hierarchien fest. Hermetisch abgeriegelt hinter Zäunen, Mauern, vergitterten Fenstern und Türen lebt eine satte Gesellschaft, die ihre materiellen Dinge vor den ausgesperrten, ungezähmten und armen Wilden schützen und bewachen lässt. Es ist eine rassistische Gesellschaft, die von einer alten Dominanzkultur noch immer gelenkt und geleitet wird. Zugang zu den Appartements bekommen die Anderen nur als Hausmädchen, Wasserflaschenlieferant, Drogendealer oder Securityguard. Wie antike Imperatoren bestimmen die Privilegierten die Regeln und entscheiden über Aufstieg und Fall ihrer Lakaien. Eine Unrechtselite hat ihre Privilegien in Blei gegossen. Sie wiegen schwer, sind fest und unaufweichlich. Einer, der die Regeln macht, ist Familienpatriarch Seu Francisco. Ihm gehört der Appartement-Wohnblock, in dem auch ein Großteil der Familie wohnt. Doch die makellose Idylle des Viertels trügt. In der Siedlung dominiert auch nach innen Misstrauen und Unfrieden. Argusäugig neiden sich Nachbarn ihre Konsumtrophäen, die das soziale Ranking in der Gruppe bestimmen. Es herrscht Futterneid, denn du bist was du hast. Bedrohlich ist das Innen wie das Außen.

Kleber Mendonça Filhos Spielfilmdebut seziert mit eindrücklicher Präzision das soziale Gefüge Brasiliens. Seine Kamera nimmt den Zuschauer mit ins Auge eines gesellschaftlichen Wirbelsturms. Mit symbolhaften Bildern fördert er mosaikartig das Selbstverständnis von Menschen zu Tage, die schon lange voreingenommen von alten Ideen vergessen haben, hinzusehen und den Anderen wahrzunehmen. Als einem Kind aus einem der unterprivilegierten Hinterhöfe ein Ball über die Mauer fliegt und er um Rückwurf bittet, hat eine Mutter für ihn nur ein „Egal“ übrig. Und auch Sätze wie: „Wenn du dir kein Auto leisten kannst, nimm den Bus.“ oder „Das ist hier keine Wohltätigkeitseinrichtung.“ klingen nach und erinnern an Zitate über „spätrömische Dekadenz“ hierzulande. Vor diesem Grund steht „Neighbouring Sounds“ nicht nur für ein brasilianisches sondern stellvertretend für ein globales Sozialgefüge, das weiter auseinander driftet.

SuT