4. Woche der Kritik: „Scary Mother“ von Ana Urushadze



Scary Mother“ erzählt von Entrücktsein des Schreibens, von der gefährlichen Grenze zwischen Genie und Wahnsinn und von der Grenze zwischen Realität und Fiktion. Was bedeutet es autobiografisch zu schreiben? Kann man noch in das beschriebene Leben zurückfinden oder ist man ein Anderer im Schreibprozess geworden? Ist man nun ein besserer oder schlechter Mensch? Nimmt einen die Gesellschaft nach der eigenen Verwandlung noch an? Der Horror der Entfremdung und die Enge des Wohnkomplex und der Kleinfamilie werden durch ein vielschichtiges Sounddesign (von Nika Pasuri) spürbar, das trotz einiger Schönheitsfehler eine fesselnde und hypnotisierende Wirkung entfaltet: Klacken und Zischen der inneren Dämonen, düstere Streicher, die tosende Trommel und immer wieder diese unterschiedlichen Stimmfärbungen Mananas – und dann Stille.

Der Rhythmus des Films ist herausragend komponiert. Langsam schleicht sich die (An-)Spannung ein. Mit viel Ruhe und eindrucksvollen Bilder schweift der Blick in eine gefestigte Familienstruktur, dann bröckelt die Fassade. Hinter ihr sind die Abgründe einer Frau, eines gefangen Freigeistes, zu erahnen. Stück um Stück verliert sie alle ihr nahestehenden Menschen, doch einsam ist sie nie: Ihr Meisterstück, an deren Fertigstellung sie manisch arbeitet, begleitet sie stets. Sie beschreibt denn eigenen Körper und observiert jede Regung um sich herum. Sie dringt tief in ihre eigene Psyche ein. Sie begegnet dabei ihren Kindheitstraumata und gibt sich ihren dunkelsten und perversesten Fantasien hin. Zwischen den Fugen des heimischen Bads entspinnen sich Romanzen und Orgien. In ihren Träumen wird sie selbst Manananggal.

Scary Mother“ lässt Lücken und Leerstellen und aktiviert so die Fantasie. Das Manuskript, das so viel Unheil hervorbringt, bleibt ein Gespenst; ein Ausschnitt, ein Fragment. Doch seine zerstörerische Wirkung wird immer fataler. Die Protagonistin Manana transformiert sich. Ihre Transformation ist eine Provokation gegen vorherrschende Frauenbilder und gegen das Patriarchat. „Scary Mother“ insistiert auf einer zerstörerischen Weiblichkeit und plädiert für eine feministische Pornografie, die aus dem Off als ein unterdrückter Schrei zu vernehmen ist.

Karl-Leontin Beger

Scary Mother“ („Sashishi deda„), Regie: Ana Urushadze, DarstellerInnen: Nato Murvanidze, Dimitri Tatishvili, Ramaz Ioseliani

Im Rahmen der 4. Woche der Kritik
Donnerstag, 15. Februar 2018, 20.00 Uhr Hackesche Höfe Kino

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