„A Touch of Sin“ von Jia Zhangke

Kaleidoskopartig entwickelt "A Touch of Sin" ein Bild des zeitgenössischen Chinas. Foto: Rapid Eye Movies
Stilisierte Gewalt
Der chinesische Autorenfilmer Jia Zhangke („Still Life„, 2009) entwickelt seine Geschichten aus dem Alltag seines Landes heraus und fragt, wie sich die rapiden Veränderungen auf die Gesellschaft auswirken. „A Touch of Sin“ porträtiert sozial entwurzelte Menschen, die sich in den ratternden Mühlen großer Konzerne verfangen haben oder im steten Streben des Landes nach Aufschwung vergessen wurden. Episodenhaft erzählt Jia die Geschichten eines Minen- und eines Wanderarbeiters, einer Prostituierten und eines Raubmörders, die alle einen Ausbruch aus ihrem aussichtslosen Dasein wagen und sich vor allem blutig ihrer Peiniger zu entledigen versuchen. Sein Film basiert auf vier Todesfällen, die sich tatsächlich in China ereignet haben, und die Jia für die Leinwand fiktionalisiert hat. Beim Minenarbeiter Dahai erstreckt sich der persönliche Rachefeldzug über das Töten seiner Widersacher, genauer gesagt, jener Oberen, die Dahais Dorf ohne schlechtes Gewissen ins gesellschaftliche Abseits hievten. In China ist es nicht ungewöhnlich, dass ein ganzer Ort von einer Industrie abhängt. Dahai will Gerechtigkeit um jeden Preis. Das Töten ist ein Akt purer Verzweiflung.
Kaleidoskopartig entwickelt Jia ein Bild des zeitgenössischen Chinas, exploriert in poetischen-schönen Bildern die riesige Kluft zwischen Arm und Reich, die das ganze Land durchzieht und Gewalt als letzten Ausweg auf die Tagesordnung ruft. Sein Film ist eine klare Reminiszenz an das Wuxia-Genre, dass sich in Martial-Art-Manier immer wieder mit der Unterdrückung des Einzelnen und dem Kampf um Gerechtigkeit auseinandersetzt. Auch wenn Jia seine vier Figuren in unterschiedlichen Alltagswelten platziert, findet er in allen Episoden eine stilistische Einheit, die den übergreifenden Bogen leicht spannen lässt. In wortkargen Dialogen führt er in die persönlichen Dilemma der Figuren ein, während die Kamera in aller Ruhe darauf verharrt. Eine Ruhe, die sich durch den gesamten Film zieht und die schon von Beginn an ein beunruhigendes Omen sendet, dass nicht zuletzt in den Vergeltungsakten seine erschütternde Entfaltung findet.
Eileen Reukauf
Die Kritik erscheint mit freundlicher Genehmigung des Stadtmagazins Kreuzer.
„A Touch of Sin„ Regie/Drehbuch: Jia Zhangke, Darsteller: Tao Zhao, Wu Jiang, Vivien Li, Lanshan Luo, Baoqiang Wang, Jia-yi Zhang; Kinostart: 16. Januar 2014, DVD-Verkauf ab 1. August 2014