„Die Wütenden“ (OT: „Les Misérables“) von Ladj Ly


Die Wütenden“ beschreibt eine Parallelgesellschaft, die durch patriarchalische Strukturen, Korruption und einer gewissen Laissez-faire-Haltung zu einer, allerdings zerbrechlichen, Ordnung findet. Dass es unter der Oberfläche brodelt, ist nicht nur ein fiktionales Gedankenexperiment wie es reale Krawalle von 2005 zeigen, die Ly 2007 in einem Dokumentarfilm einfing. Dabei nahm er zufällig eine Straftat eines Polizisten gegen einen jungen Mann auf. Dank der Aufnahmen konnte der Täter im Anschluss überführt werden. Dem Spielfilm ist ein Kurzfilm mit dem gleichen Titel vorangegangen.

Lys Film ist nicht der erste, der sich mit dem Leben in der Banlieue beschäftigt. Eine Parallele findet sich beispielsweise zu Mathieu Kassovitz‘ „Hass“ von 1995, mit Vincent Cassel in der Hauptrolle, der sich bis auf einzelne Gewaltexzesse der Beschreibung von sozialen Realitäten verschreibt. In jüngerer Zeit haben sich mehrere Dokumentarfilme, die aber in der Form die Elemente des Spielfilms einbauen, eindrücklich aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen ebenfalls vom Alltag in französischen Vororten erzählt. Darunter befinden sich beispielsweise „Swagger“ von Olivier Babinet (2016) und „Premières solitudes“ von Claire Simon (2018).

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Es soll sich etwas ändern an den Umständen und das will Ly mit seinem Film anstossen. Mehrheitlich mit Laiendarstellern hat Ly seinen Spielfilm als Tour de Force inszeniert, in dem er erstaunlich differenziert argumentiert und auch einen Sinn für Ironie unter Beweis stellt. Seine Figuren drücken glaubwürdig Gefühle wie Ohnmacht, Wut und existenzielle Angst aus, manchmal alles gleichzeitig. Auch ohne das zugespitzte Finale, dessen Drastik für die Geschichte keinen besonderen Mehrwert bietet, zeichnet sich „Les Misérables“ durch eine erzählerische Wucht aus, der sich kaum jemand entziehen kann.

Teresa Vena

Die Wütenden – Les Misérables„, Regie: Ladj Ly, Darsteller: Damien Bonnard, Alexis Manenti, Djibril Zonga, Issa Perica, Al-Hassan Ly, Steve Tientcheu, Almamy Kanoute, Jeanne Balibar u.a., Kinostart: 23. Januar 2020

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