THERAPIE FÜR WIKINGER von Anders Thomas Jensen

Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?
Welchen Einfluss hat meine Umwelt auf meine Identität und in wie weit muss sie auf mein inneres Bild von mir eingehen? Habe ich nur diese eine Identität oder sind wir mehr, als wir manchmal zu sein glauben? Diese Fragen stellt Anders Thomas Jensen in seinem neuesten Wurf THERAPIE FÜR WIKINGER.
Anker (Nikolaj Lie Kaas) wird nach seiner 15jährigen Haft herzlich von seinem Bruder Manfred (Mads Mikkelsen) und ihrer Schwester Freja begrüßt. Manfred hat alles liebevoll vorbereitet, Anker aber will nur wissen, wo Manfred das Geld versteckt hat, das Anker ihm damals anvertraut hatte. Doch Manfred ist nicht mehr Manfred, er ist jetzt John und weiß nichts mehr von dem Geld. Er war schon immer anders, aber jetzt versucht er sich jedes Mal sofort umzubringen, wenn ihn jemand mit seinem alten Namen anspricht. Dass Anker, der sich immer liebevoll um seinen schrägen Bruder gekümmert hatte, so lange weg war, war ein harter Schlag für ihn – Anker war der Einzige, der früher seine Identität ernst genommen hatte (in der Kindheit hatte Manfred sich als Wikinger identifiziert). Kaum zurück will Anker aber nur an das Geld und empfindet seinen Bruder als lästig. Um an die Kohle zu kommen, muss er sich dennoch auf Manfreds neue Identität einlassen und wagt mit ihm gemeinsam eine unangenehme Reise in die Vergangenheit.
Von Tarantino zum Sonntagskrimi
Der dänische Tarantino Anders Thomas Jensen (ADAMS ÄPFEL, DÄNISCHE DELIKATESSEN, HELDEN DER WAHRSCHEINLICHKEIT) zeigt hier wieder, dass er keine Probleme mit brutaler Gewalt hat, die er locker flockig mit seinem schrägen Humor ausgleicht. Das funktioniert in der ersten Hälfte gewohnt beiläufig im Fluss der Geschichte. Doch dieser Fluss versandet schnell. Handlungsstränge werden nicht wirklich auserzählt und der vielversprechende Ansatz, das heutzutage so populäre Identitätsthema über eine Dissoziative Persönlichkeitsstörung zu beleuchten, verläuft sich in den moosbedeckten dänischen Wäldern. Die zweite Hälfte verkommt leider zu einem mittelmäßigen Sonntagskrimi. Jensen spricht in einem Interview zum Film davon, dass wir viele Facetten haben und dass uns die Erkenntnis darüber nachsichtiger mache und weniger wertend. Was für ein toller Gedanke, der sich in diesem Werk leider nicht widerspiegelt. Nach dieser Aussage hätte ich mir gewünscht, am Ende des Films mit neuen Anregungen und Fragen zum Thema Identität ausgestattet zu werden. Wenn man hier aber das ein oder andere Auge zudrückt, ist der Film sehr unterhaltsam.
Im Original heißt der Film übrigens so viel wie „der letzte Wikinger“. Es ist mir völlig unverständlich, warum Verantwortliche in Deutschland immer denken, sie müssten dem deutschen Publikum im Titel schon den halben Film erklären. Noch schlimmer fand ich das bei Jensens vorherigem Film HELDEN DER WAHRSCHEINLICHKEIT, der im Original einfach nur den Namen der Rockergang trägt (auf Englisch übersetzt RIDERS OF JUSTICE) – das verrät ja auch schon, was das Thema ist, aber nicht augenzwinkernd den Twist des Films.
THERAPIE FÜR WIKINGER; Regie: Anders Thomas Jensen; Darsteller_innen: Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Sofie Gråbøl, Søren Malling; Kinostart: 25.12.2025