Fantasy Filmfest in Berlin: Urlaub im Kinosessel


Filmszene: "The Pack"

Das Fantasy Filmfest ist weitergezogen. Die Hauptstadt darf nun wieder warten, ein Jahr lang ihre Wunden lecken und sich darauf freuen, dass der Horror irgendwann zurückkehrt. Unter dem Motto „Fear Good Movies“ waren in diesem Jahr über 70 Filme im Festivalprogramm zu sehen. Für den normalen Kinogänger eine schier nicht zu bewältigende Zahl. Und doch gibt es sie, die Nerds, die Freaks, die beinharten Fans, die sich jeden Tag über Stunden am Potsdamer Platz in den Kinosessel quetschten, um ja keinen Film zu verpassen. Häufig zu erkennen am laminierten Festivalpass mit Halsbändchen. Diese Dauerkarten sind limitiert und werden nach dem Motto „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ angeboten. Sie sind, wie sollte es anders sein, meist schon nach kurzer Zeit vergriffen.

Es ist diese kleine Gruppe von Fans, die dem Genre-Festival bis heute sein Profil verleiht. Man kennt sich, trifft sich hier jedes Jahr wieder, gehört zu einer eingeschworenen Gemeinschaft von Menschen, die einem Genuss fröhnen, den es oft nicht im Kino gibt: moralfreies Schaudern. Dennoch ist das Filmfest über die Jahre zu einem großen Festival gewachsen, das bundesweit jährlich über 120.000 Menschen anzieht. Dementsprechend bunt gemischt ist das Publikum in Berlin: High-Fashion aus Mitte sitzt neben Neukölln-Schick, der Wollpulli aus Charlottenburg neben dem Studenten aus Friedrichshain. Und alle starren sie selig auf die Leinwand. Manch einer hat sogar extra Urlaub genommen. Unser kleines Redaktionsteam nicht. Wir geben einen kleinen Einblick in elf Filme, die uns in diesem Jahr aufgefallen sind.

Zur Eröffnung des Festivals gab es mit „The Pack“ Schauerkino aus Frankreich. Eine junge Frau (Émilie Dequenne) fährt ziellos übers Land. Durch die Mitnahme eines Anhalters (Benjamin Biolay) will sie sich drei aufdringliche Motorradfahrer vom Hals halten. Das funktioniert nur kurzzeitig, bis alle Beteiligten in einer heruntergekommenen Wirtschaft zusammentreffen. Doch die resolute Chefin des Hauses verhindert größeren Ärger, hat sie doch eigene Pläne mit gestrandeten Reisenden. Regisseur Franck Richard fügt dem häufig gewählten Horrorthema (im Hinterland ist Frischfleisch stets vonnöten) eine weitere Variante hinzu, erzählt die Story routiniert vor ruhiger, düsterer Kulisse und hat Yolande Moreau als Wirtin herrlich fies in Szene gesetzt.

Filmszene: "The Killer Inside Me"

The Killer Inside Me“ von Michael Winterbottom lief bereits im Programm der diesjährigen Berlinale und wurde dort von Kritikern heftig diskutiert. Ein Kleinstadt in Texas in den 50er Jahren. Ein junger, zuweilen abwesend wirkender Sheriff (Casey Affleck) steigt regelmäßig bei einer Prostituierten (Jessica Alba) ab. Die Freundin (Kate Hudson) bekommt von seiner Nebentätigkeit vorerst nichts mit. Aber im Gesetzeshüter schlummert ein übles Geheimnis. Als die gefallene Dame böse zugerichtet aufgefunden wird, keimt ein Verdacht auf. Vorerst kann der Sheriff den Ermittler noch auf Abstand halten. Winterbottoms Film nach der gleichnamigen Geschichte von Jim Thompson ist verstörend. Die Gewaltszenen alles andere als harmlos. Doch Winterbottom kann den Zuschauer nicht in seinen Film ziehen. Ein Kammerspiel mit ausführlicher emotionaler Ausleuchtung der Charaktere hätte die Story zugänglich gemacht. So bleibt einzig Casey Affleck, der mit seiner Darstellung überzeugt.

Der Expansionsdrang des Römischen Reiches gerät im 1. Jahrhundert auf den Britischen Inseln ins Stocken. Die Kaledonier leisten erbitterten Widerstand. Die 9. Römische Legion wird in einen Hinterhalt gelockt und nahezu vollständig aufgerieben. Nur eine Handvoll Kämpfer überlebt das Gemetzel und schlägt sich folgend hinter der feindlichen Linie in Richtung Heimatfront durch. Neil Marshall („The Descent„) liefert mit „Centurion“ einen packenden Action-Film vor historischem Hintergrund ab. Zu sehen sind berauschende Kamerafahrten über schottische Landschaften und herbe Kampfszenen. Michael Fassbender hat als Held Quintus Dias den nötigen Schuss Männerschweiß unter den Achseln.

Gruselkino aus unserem Nachbarland hat Genre-Referenz: Die Franzosen verweigern sich lästigem Teenie-Gruseln. Regisseur Yann Gozlan gelingt in „Caged“ ein knackiger Einstieg, klug geschnittene Bilder, und schon folgt man neugierig der Story, die mit spannendem Verlauf ihrem Finale zustrebt. Drei Ärzte beenden ihren humanitärem Einsatz im ehemaligen Jugoslawien. Auf der Rückfahrt in die Heimat wird das Trio an einer Straßensperre angehalten. Um die mehrstündige Wartezeit zu umgehen, entscheiden sich die Heimkehrer für eine Umfahrung des Hindernisses und verirren sich dabei. Dem beinahe klassischem Fehlverhalten der drei Mediziner folgt die böse Überraschung in Form des Kindnappings mit nicht zu erwartenden Folgen.

Filmszene: "Outrage"

Wie im Publikum zu vernehmen: Einem Film von Takeshi Kitano („Hana Bi“) darf die Gunst nicht verweigert werden. Kitano blickt mit „Outrage“ erneut in die unbarmherzige Welt der Yakuza. Obenauf: der Clanchef. Unter ihm, ein Geflecht aus mehreren Familien, die sich mal Freund, dann jedoch Feind sind. Im Gegeneinander ist dann alles andere als zimperliches Umgehen zu erwarten. Kitano selbst steht einer dieser Familien vor und muss erfahren, dass alte Yakuza-Tugenden (ein abgeschnittenes Fingerglied zur Ehrbezeugung) nichts mehr zählen. Die Bildsprache, in der Kontemplation und eruptive Gewalt einander folgen, ist Kitano-Fans vertraut. Dass die Darstellung von Härte, die letztlich ins Groteske getrieben wird, entschärft sie zugleich. Der Vorabmeinung des Publikums ist ohne Weiteres zuzustimmen.

Mit „Ip Man 2“ (Wilson Yip) findet die Geschichte des Wing-Chun-Meisters ihre Fortsetzung. Die japanische Besatzung in China zur Zeit des Zweiten Weltkrieges ist vorüber und Ip Man versucht, sich in Hong Kong eine neue Existenz mit einer Kampfschule aufzubauen. Seine Frau ist schwanger, das Geld immer knapp und Schüler sind nur schwer zu finden. Zudem ist die Konkurrenz an Kampfschulen groß. Ip Man muss den ansässigen Meistern seine Qualifikation beweisen, was ihm natürlich gelingt. Schließlich führt ihn sein Talent in die große Auseinandersetzung: westliches gegen chinesisches Boxen, oder Kolonialmacht gegen unterdrückte Nation. Das Bio-Pic mit Donnie Yen in der Hauptrolle ist vor allem für Martial-Arts-Fans ein Genuss. Die Handlung tritt im Gegensatz zum ersten Teil in den Hintergrund und man fühlt sich natürlich an die Rocky-Saga erinnert. Warum auch nicht, und die Geschichte des Ip Man ist noch nicht zu Ende erzählt.

Filmszene: "Gallants"

Eine ähnliche Richtung nimmt „Gallants„. Die beiden Regisseure Derek Kwok und Clement Cheng haben mit ihrem Film eine lupenreine Hommage an die Martial-Arts-Filme der 70er Jahre geschaffen. Das zeigt sich sowohl in der Schnittfolge des Films, der Dramaturgie und der eigentlichen Geschichte. Der glücklose Büroangestellte Cheung wird von seinem Chef in ein kleines Städtchen versetzt und gerät dort an einen rüstigen Mittsechsziger, ein einstiger Kung-Fu-Lehrling, der seinen comatösen Meister seit über dreißig Jahren pflegt. Die Kampfschule ist mittlerweile zu einem Teehaus umfunktioniert, da erwacht der Greis und nimmt sich dem Pechvogel Cheung an. Der hat mittlerweile auch im Dörfchen für Ärger gesorgt und einen alten Rivalen, einen konkurrierenden Sportclub, herausgefordert. „Gallants“ ist ein schwieriger Film für all diejenigen, die nichts mit der Bildsprache und der Ästhetik alter Kung-Fu-Filme anfangen können. Wer dagegen den Slapstick dieser Ära mag und nicht all zu sehr auf gut gezeichnete Charaktere achtet, hat seinen Spaß.

Entäuschend dagegen Chris Hartwills Action-Horror „Ghost Maschine„. Ein Team junger Soldaten borgt sich für ein Wochenende ein streng geheimes Kampf-Simulationsprogramm der Armee aus, um damit in einem verlassenen Gefängnis in klassischer Ego-Shooter-Manier zu spielen. Wäre da nicht ein mysteriöses Geistwesen, das sich des Spiels bemächtigt und einen Teilnehmer nach dem anderen niederstreckt. „Ghost Maschine“ ist durchaus ansprechend angelegt, verliert aber an Spannung, als die eigentliche Geschichte an Fahrt aufnimmt. Die Idee, dass sich ein transzendentes Wesen eines Spiels bemächtigt, wird nicht im Ansatz ausgearbeitet. Übrig bleibt ein solides Blutbad und die Frage, warum muss ausgerechnet ein rachsüchtiger Geist den Ballerspaß verderben?

Hideo Nakata schafft es mit seinem Film „Chatroom“ sowohl zu fesseln, als auch zu entäuschen. Ein paar junge Leute treffen sich in einem Chatroom, der von dem scheinbar freundlichen William eröffnet wurde. William ist jedoch nicht an alltäglichen Plaudereien interessiert, er will die schlimmsten Seiten aus seinen Chatpartnern herauszukitzeln. Die vorerst banalen Gespräche entwickeln sich schnell zu einem Psychospiel, das einen von ihnen in den Suizid treiben soll. Nakatas erzählt seine Geschichte gelassen, zeichnet seine Charaktere dementsprechend penibel. Sein Film überzeugt im Spannungsaufbau, hat aber ein großes Problem: Er übersetzt die fiktiven Bilder der Cyberwelt in reale Räume und schafft so eine fast schon anachronistische Vorstellung des Internets, das sich längst von den engen Grenzen des Chats gelöst hat.

Filmszene: "Suck"

Rob Stefaniuk schenkt dem Vampirfilm-Genre mit seiner Rock´n´Roll-Vampir-Roadmovie-Komödie „Suck“ eine simple wie selbstsicher-ironische Variantion. Der kanadische Regisseur ist im Film zugleich auch Autor und Hauptdarsteller und hat sichtlich Spaß daran, seine Blutsaugergeschichte mit Referenzen an die Rock- und Popwelt zu verzieren. Zehn Jahre schon dümpelt die Karriere der Band „The Winners“ vor sich hin, als nach einem weiteren miesen Konzert die Bassistin von einem Vampir gebissen wird. Fortan ändert sich alles: Ihre Ausstrahlung bringt der Band zunehmenden Erfolg und ein Bandmitglied nach dem anderen wechselt auf die Seite der Untoten. Wäre da nicht der Vampirjäger Van Helsing, gespielt von Malcom McDowell, der die Band auf Schritt und Tritt verfolgt. Eine ausgefeilte Story hat der Film nicht. Um so spaßiger ist die Melange aus Zitaten und Reminiszenzen an die Rockwelt, neben einem herrlich-komischen Auftritt von Alice Cooper, der seiner Rolle als Fürst der Dunkelheit hier weitaus gerechter wird, als in der ziemlich verstörenden Werbung einer großen Handelskette, haben auch Iggy Pop, Henry Rollins und Moby Gastautritte.

Zu guter Letzt: „22 Bullets„. Er war der Pate der Mafia in Marseiile, bis zu seinem Ausstieg vor drei Jahren. Seitdem widmet sich Charly Mattei (Jean Reno) seiner Familie und genießt das Leben. Doch der Schatten der Vergangenheit lässt sich nicht abschütteln. Bei seinem Ausstieg hatte Mattei klare Regeln festgelegt, die seinen ehemaligen Mitstreitern nun hinderlich sind. Also soll er aus dem Weg geschafft werden: mit 22 Schüssen, die den ehemaligen Boss der Unterwelt niederstrecken, jedoch nicht töten. Als dann einer seiner Vertrauten getötet wird, muss Mattei das Versprechen des gesetzestreuen Bürgers, das er seiner Familie gab, brechen, und es beginnt ein Rachefeldzug. Jean Reno überzeugt in „22 Bullets“ (Richard Berry) erneut mit tief sitzenden Narben und Augenringen als ambivalenter Bösewicht. Der Film verliert nie an Tempo und ist hervorragend fotografiert. Atemloses Action-Kino.

Thomas Skorloff, Martin Daßinnies