Interview: Jochen Werner über das Pornfilmfestival


Sie zeigen etwa RP Kahls „Bedways„, den ich nicht als pornografisch bezeichnen würde, da Kahl zwar Sexualität als Grundthema hat, den Körper und den Akt aber nicht zum Zentrum seines Films macht ….
Werner: Auf dem Pornfilmfestival gibt es keineswegs nur dezidiert (hardcore-)pornografische Filme zu sehen. Stattdessen stehen in unserem Programm seit jeher ganz unterschiedliche Filme nebeneinander, die sich mit Sexualität und Körperlichkeit auseinandersetzen – vom Dokumentarfilm über den Experimentalfilm, und eben auch bis hin zum kommerziell produzierten Pornofilm – sofern dieser irgendetwas hat, das ihn für uns so interessant macht, dass wir ihn für zeigenswert erachten. RP Kahls „Bedways“ sehen wir dabei als Teil einer ganzen Bewegung im internationalen Kino (Lars von Trier, Patrice Chéreau, Michael Winterbottom und viele andere), die mit unterschiedlichsten Mitteln versucht, die explizite Darstellung von Erotik auch im nichtpornografischen Film zeigbar zu machen.

Sie sagen, Pornografie ist ein Genre, das nicht als kunstfähig wahrgenommen wird. Dabei hat das Genre über die Jahrzehnte einiges an Wandlungen erlebt. In den 70er gab es viele Filme, die auch einen inhaltlichen Anspruch hatten, in den 80er sogar kommerziell erfolgreiche Filme, meist aus den USA, die sich dem Thema sehr avantgardistisch näherten. In den Neunzigern reduzierte sich der Film oft nur auf den Akt und die Szenenverkettung – und dann folgte das Internet. Wie sieht der Status Quo heute aus?
Werner: Ich denke, man kann sagen, dass es zur Zeit wieder eine ganze Reihe von ambitionierten Pornofilmen gibt, die versuchen, an die Traditionen aus den Jugendjahren des Genres anzuknüpfen. In diesem Jahr etwa haben wir eine erstaunliche Anzahl von durchaus gut funktionierenden narrativen Pornospielfilmen im Programm, vom Thriller „Cry Wolf“ über den Science-Fiction-Film „2040“ bis hin zum Vampirhorror „Dark Angels 2„. Und, einer meiner persönlichen Favoriten dieses Jahrgangs, „The Last Rose„, ein melancholisches Pornomelodram mit erstaunlich düsterem Grundton der sich auf den Spuren des „Letzten Tango in Paris“ bewegt. Auf der anderen Seite stehen Ansätze, die das kreative Potenzial der Pornografie weniger in der Annäherung an den erzählenden Spielfilm sehen, sondern an den Experimentalfilm. Zwischen diesen beiden Polen spielt sich die interessante Pornografie heute ab.

Kann kommerzielle Pornografie überhaupt einen künstlerischen Anspruch haben?
Werner
: Mir scheint, diese Frage muss im Grunde anhand eines jeden Filmes neu diskutiert werden. Tatsächlich muss sich ja die Pornografie, wenn sie Kunst sein will, mit gewissen Konflikten auseinandersetzen: Kann ein Film Kunst sein und trotzdem, im Hinblick auf die ganz pragmatische Funktion des Pornofilms, auf die körperliche Erregung abzielen? Wie verhält es sich bei einem narrativen Pornofilm mit der Erzählung und dem Sex? Steht beides eher unverbunden nebeneinander, steht es gar im Widerspruch zueinander – indem der Sex die Story ausbremst oder die Story die Sexszenen lediglich lose verbindet? Oder geht doch beides zusammen, eine interessante Form und vielfältiger, anregender, nicht öde standardisierter Sex? Kann Pornografie vielleicht sogar, im libertären Geiste der 70er Jahre, auch heute noch eine befreiende, politische Funktion haben? Eine einfache und allgemein gültige Antwort gibt es, denke ich, auf keine dieser Fragen – umso spannender, sie in jedem Festivaljahr in ganz unterschiedlichen filmischen Ansätzen immer wieder neu beantwortet zu finden.

Um mal eine andere Perspektive aufzugreifen – nimmt die Pornobranche überhaupt Künstler wahr, die das Thema nicht nur als Mittel zur Lustbefriedung aufgreifen?
Jochen Werner: In der kommerziellen Pornobranche, deren allmonatlicher Output ja unüberschaubar ist, ist es sicher schwer für einen ambitionierten Filmemacher, für sich selbst eine Nische zu finden, in der sich zumindest Teile der eigentlichen Ideen realisieren lassen. Das Pornfilmfestival hat in den fünf Jahren seines Bestehens aber hier auch eine Funktion als eine Plattform entwickelt, über die sich all diese Einzelkämpfer an den Rändern des Pornomarktes austauschen, kennenlernen und vielleicht auch hier und da neue Vertriebsstrukturen erschlossen haben. Wenn man nämlich merkt, dass da noch viele andere sind, die sich ebenfalls dafür einsetzen, dass Pornografie nicht automatisch frauenfeindlich, niveaulos und schlecht inszeniert sein muss, dann steigert das die eigene Motivation, weiterhin gegen die Windmühlen des kommerziellen Pornobusiness anzukämpfen, doch beträchtlich.

Gut, letzte Frage. Wie hat sich in der Arbeit als Kurator ihre Sichtweise auf das Thema verändert?
Werner: Meine Perspektive auf die Pornografie ist sicher wesentlich umfassender geworden – und weitet sich noch immer in jedem Jahr der Festivalarbeit. Auch wenn man immer wieder einmal an einen Punkt kommt, an dem man glaubt, nun aber wirklich alles gesehen zu haben, gibt es doch noch Erlebnisse bei der Filmsichtung, die einen verblüffen. In diesem Jahr zum Beispiel haben wir ein Kurzfilmprogramm um außergewöhnliche Fetische, und einige der dort ausgelebten sexuellen Vorlieben fanden wir doch sehr überraschend und manchmal auch amüsant. Das wäre dann wohl auch meine zweite wesentliche Erkenntnis aus der Beschäftigung mit der Pornografie: wieviel Spaß und spielerische Lebensfreude mit ihr verbunden sein kann, wenn man ihr nur mit einer gewissen Offenheit gegenübertritt.

Interview: Martin Daßinnies

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