Berlinale-Blog: Eine Art Halbzeitbilanz (5)


Filmszene: "Pina"

Filmszene: "Pina"

Vier Wettbewerbstage sind seit dem Beginn der Berlinale vergangen und vier weitere liegen noch vor uns – Zeit für eine Halbzeitbilanz dessen, was wir bislang gesehen haben. Und die fällt leider unterm Strich wenig erfreulich aus. Weil aber alles Jammern nichts hilft und zugleich entsetzlich destruktiv ist, haben wir dennoch versucht, einige Erkenntnisse in Form von Trends auszumachen, die dabei helfen, den Jahrgang 2011 besser einzuordnen und sind dabei auf folgende Besonderheiten gestoßen…

Trend 1: Neben der recht schmalen Quantität des Wettbewerbs, der in diesem Jahr gerade mal 16 Teilnehmer verzeichnet, ist zumindest für den Festivaljahrgang 2011 (Stand heute) auch ein erheblicher Rückgang der Qualität der gezeigten Filme zu bemerken. Die Erklärungen sind vielfältig und reichen vom vielfach beschworenen, gewachsenen Konkurrenzdruck der Festivalszene bis hin zur Finanzkrise, deren mangelnde Risikobereitschaft nun im Kinojahr 2011 allem Anschein nach die Branche mit voller Wucht trifft. Nachdem sie bereits vor zwei Jahren zum Thema erhoben wurde, was sich damals in Tykwers „The International“ auch im Programm zeigte.

Trend 2: Nachdem sich die 3D-Technologie spätestens mit Camerons „Avatar“ in den Kinos zumindest in bestimmten Segmente fest etabliert hat, scheint nun die Zeit gekommen, dass auch das Arthouse-Kino auf den Zug aufspringt und dabei zu erstaunlichen Ergebnissen kommt: Drei der gezeigten Wettbewerbsfilme wagten den Schritt in die neue Dimension und gaben vor allem im Falle von Wim Wenders „PINA“ Raum für Fantasien darüber, wie die neue Technologie abseits von purer Effekthascherei eingesetzt werden könnte. (Mehr dazu) Wenn man zugleich aber mit einbezieht, dass zwei der drei gezeigten Filme außer Konkurrenz zu sehen waren, dann ist 3D zwar im anspruchsvollen Segment angekommen, hat sich aber noch nicht etabliert. Wobei sich das in den nächsten Jahren mit Sicherheit verändern wird.

Trend 3: Neben der sicheren Bank „True Grit“ als Eröffnungsfilm überzeugten bislang vor allem jene Filme, die sich bereits in Sundance (wie „The Guard“ oder „Life In A Day“ bewährt hatten. Geht man hingegen allein nach den gezeigten Weltpremieren aus, so ist der Zustand des internationalen Films auf der 61. Berlinale (und zwar vor allem aus dem anspruchsvollen Segment) zutiefst besorgniserregend. Zugleich zeigt sich einmal mehr, dass man in den beiden „Nebenreihen“ doch etliche Perlen entdecken kann, die diese negative Prognose als zu pessimistisch abstrafen. Möglicherweise ist es an der Zeit, über eine grundlegende Reform der Bedingungen für die Teilnahem am Wettbewerb nachzudenken und hier einige Fehlentwicklungen zu korrigieren. Denkbar wäre zum Beispiel eine Lockerung der Auflage, die die Anwesenheitspflicht großer Teile des Casts betrifft. Sicher gehört Glamour und die Auseinandersetzung mit den Filmemachern existentiell zu jedem Filmfestival, doch könnte so gerade bei den Oscar-Spekulanten gepunktet werden. Eine Gratwanderung!

Filmszene: "Schlafkrankheit"

Filmszene: "Schlafkrankheit"

Trend 4: Erstaunlich und erfreulich genug, dass es bislang vor allem die deutschen Filme sind, die uns überrascht haben. „Almanya“ besitzt durchaus das Zeug zum Crowdpleaser und könnte auch in den Kinos gut funktionieren, Ulrich Köhlers „Schlafkrankheit“ bietet wieder einmal ungewohnt experimentierfreudiges deutsches Kino, wie man es viel zu selten sieht, wird aber sicher größere Probleme haben, ein Publikum zu finden. Ganz anders Wim Wenders grandioser Streich „PINA„, der sowieso (im doppelten Sinne) außerhalb der Konkurrenz läuft. Angesichts des mit einiger Spannung erwarteten und viel Vorablob überschütteten neuen Films von Andras VeielWer wenn nicht wir“ kann man also mit einigem Recht von einer kleinen Renaissance des deutschen Kinos bei der diesjährigen Berlinale sprechen; ein Eindruck, der durch eine offensichtlich gelungene Reihe Perspektive deutsches Kino noch verstärkt wird.

Trend 5: Auch wenn nicht alle Auseinandersetzungen mit dem Zustand der Welt überzeugen konnten, fällt es schon auf, dass die Filme des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs insgesamt politischer ausfallen, als dies in den letzten Jahren der Fall war. Ob die Folgen der Finanzkrise in „Margin Call„, die Auseinandersetzung mit der Zeit der argentinischen Militärdiktatur („El Premio„) oder die Verarbeitung des Super-Gauss von Tschernobyl – die Sorge um den Zustand der Welt ist unübersehbar und nach wie vor eines der stärksten Merkmale der Berlinale, die zugleich einen Weg in die Zukunft des Festivals markiert. Schließlich erfreuen sich die Internationalen Filmfestspiele Berlins im internationalen Vergleich an zwei Faktoren, dem immensen Publikumszuspruch, der für immer neue Rekorde sorgt und dem Standing als politisches Festival, dem die Berlinale mit der Nominierung von Jafar Panahi in die Jury wieder gerecht wurde.

Trend 6: Im Gegensatz zu den letzten Jahren sind ganze Regionen des internationalen Films in diesem Jahr in der Auswahl des Wettbewerbs schlichtweg ausgespart – neben der auffallend schwachen Filmlandschaft Asiens hat es kein einziger Film vom afrikanischen Kontinent in den Wettbewerb der Berlinale geschafft. Andererseits sollte man diesen Trend durchaus ernst nehmen und dafür Sorgen tragen, dass das Scouting in diesen Regionen verstärkt wird. Gerade wenn man sich an „10 ½“ von Daniel Grou aus Kanada erinnert, der im November beim 59. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg von der dortigen Jury mit dem Hauptpreis bedacht wurde.

Joachim Kurz (www.kino-zeit.de) & Denis Demmerle (www.berliner-filmfestivals.de)