Türkische Filmwoche: Festivalbericht
Ein Stück Heimat
Chaos um die Plätze, gleich am Eröffnungsabend. Viele sind zur Gala in das Cinema Paris gekommen und suchen im Parkett aufgeregt nach freien Plätzen. Stau in den Gängen. Doch die Veranstalter der 9. Türkischen Filmwoche verhelfen mit unglaublich guter Laune und Geduld jedem zu einem Platz. Lediglich im ersten Stock konnte man schon früh zwei echte Berliner nörgeln hören, die über die „schlechte Organisation“ meckerten, weil die Türen zum Rang nicht schon 30 Minuten vor Einlass geöffnet wurden. Im Parkett hingegen herrscht ausgelassene Stimmung. Die Eröffnungsreden sollen „kurz und knackig“ sein, so die Moderatorin. Das Versprechen wird gehalten. Alle warten auf die Filme. Circa 25 Filme erwarten das Publikum, die in zehn Tagen ein Stück Heimat in den Saal bringen werden.
Eröffnet wird die Filmwoche mit Tolga Örneks Film „Der Club der Versager„. Ein Film über zwei Klischee-Loser mit eigener Radioshow (Der Club der Versager), in der eben erst privatisierten Radiolandschaft der Türkei. Kaan und Kardikoy sind eine Art türkische Version von Grissemann und Stermann. In ihrer Show philosophieren sie täglich unrasiert und in Unterhose über den Sinn des Lebens und tun dabei so, als wären sie eigentlich unter sich. Die zwei Klischee-Versager qualmen und saufen sich durch ihren Alltag, tragen Loser gelabelte T-Shirts, lesen Roland Barthes und William Blake, leben unbekümmert und lethargisch in den Tag, in dem Versuch sich so den gesellschaftlichen Zwängen, Traditionen und Normen um sie herum entziehen zu können. Schon bald folgt ihnen eine treue und große Anhängerschaft. Doch den Traditionalisten sind sie ein Dorn im Auge. Tolga Örneks Film ist ein Mix aus „Easy Rider„-Lebensgefühl und Guy Ritchie- Style, den das Publikum im Saal, trotz der oft überbetonten Coolness und des teilweise berechnenden Witzes, feierte.
Tags darauf gab es erneut Grund zum Feiern. Die Silberne Lola für den besten Spielfilm sowie der Preis für das beste Drehbuch gingen an den Film „Almanya – Willkommen in Deutschland„, die Einwandererkomödie der beiden türkischstämmigen Schwestern Samdereli. Nicht zuletzt auch aus Anlass des 50. Jahrestages des Gastarbeitervertrages mit der Türkei nahm die Filmwoche den Film der Schwestern ebenfalls in das Festivalprogramm, obwohl er bereits seit März bundesweit erfolgreich in den Kinos läuft. Der Film, der mit viel Humor und sehr berührend vom Einleben einer türkischen Gastfamilie im deutschen Alltag und den Identitätskonflikten der nachfolgenden Generation erzählt, verzauberte noch einmal am Abschlussabend das Kreuzberger Publikum im Babylon. Im Anschluss erntet die anwesende Regisseurin Yasmin Samdereli erneut tiefe Berührung und viel Dank für den Film. Einem Mann, ein Gastarbeiter, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt, verschlägt es, tief bewegt vom Film, vor Dankbarkeit die Sprache. Die innere Zerrissenheit und das tiefe Gefühl von Sehnsucht stehen plötzlich im Raum und beeindrucken das im Saal sitzende Publikum sichtbar.
Viele der in diesem Jahr ausgewählten Filme berichten von den gewöhnlichen Alltagsnöten und den vielen kleinen Herausforderungen und Sehnsüchten der Menschen. Die Sehnsucht nach ein bisschen Glück, und sei es, wie in der ZDF Koproduktion „Luks Glück“ (Ayse Polat) erzählt, nur ein Lottogewinn, den die Eltern schon für ein Hotel in Anatolien verplant haben. Oder sei es, wie in „Die 7 Hinterhöfe“ (Semir Aslanyürek), das Glück und der Frieden seinen Platz gefunden zu haben, ob in der Türkei als Kurde, Armenier, Grieche oder türkischer Jude oder als Türke in Deutschland. Es sind bewegende Geschichten über die Suche nach Zusammengehörigkeit und das Heimatgefühl dazu zu gehören.
SuT