LOLA-Interview: Stefan Arndt und Florian Cossen


Filmszene: "Das Lied in mir"

Filmszene: "Das Lied in mir"

Was heißt das?

Cossen: Ich wollte grundsätzlich einen Film machen, der ins Kino kommt. Und er ist ins Kino gekommen. Es haben mittlerweile 100.000 Zuschauer den Film gesehen.

Arndt: Das ist bombastisch heutzutage.

Bombastisch, weil Arthousefilme weniger ein Problem mit der Finanzierung haben, denn mit dem Ziel, ein Publikum zu finden?

Arndt: Das kommt darauf an. Es gibt ja diese These, dass es zu viele deutsche Filme gibt. Das ist natürlich Quatsch. Wenn, dann gibt es zu wenig gute Filme. Aber es gibt ja ganz unterschiedliche deutsche Filme. „Das Lied in mir“ etwa ist sehr gut geworden, weil er eine ganz besondere Geschichte mit besonderen Orten und Menschen erzählt. Trotzdem kann es passieren, dass davon kein Mensch erfährt. 100.000 Besucher bei einem Debütfilm, das ist einfach bombastisch. Es gibt eine Menge Filme, die haben nur 2000 bis 10.000 Besucher. Da muss man sich schon fragen, ob man den ganzen Horror, den so ein Kinostart mit sich bringt, auch wirklich auf sich nehmen will. Aber Filme, die sich durchsetzen, beweisen, dass das System einen Sinn hat.

Woran liegt es denn, dass so viele Filme ihr Publikum nicht finden? Ist es reines Glück, gerade bei einem Debütfilm?

Arndt: Nein, das liegt an einer bestimmten Art von Qualität. Da man Qualität bei Filmen nicht messen kann, kann man es vorher kaum wissen. Man muss eben den Nerv der Leute treffen. Der Filmemacher und die Produzenten haben die Aufgabe, sich Gedanken darüber zu machen, was im Frühjahr 2011 gegen Japan oder Ägypten bestehen kann. Das sind ganz andere Realitäten, die nichts mit dem Film zu tun haben. Es waren gerade garantiert keine einfachen Wochen für den anspruchsvollen Film, da viele Menschen sich mit etwas anderem beschäftigen. Und trotzdem hat sich „Das Lied in mir“ durchgesetzt.

Das Weltgeschehen mag ein Grund sein, aber auch andere Umstände wie verkürzte Laufzeiten …

Arndt: Das ist eine Illusion. Es ist ja nicht so, dass es mehr Filme gibt als früher. Aber die Filme sind sich ähnlicher geworden.

Arndt zu Cossen: Auch dein Film ist in Bezug zu einem amerikanischen Blockbuster in der Wirkung auf das Publikum viel ähnlicher, als es noch vor dreißig Jahren war. Im Kino sitzt heute ein etwas älteres und gebildeteres Publikum. Kinoleute, wie auch die Presse, wählen heute nicht mehr aus, sie versuchen alles zu zeigen. Dadurch sind es viel mehr Kopien geworden. Der einzelne Film hat weniger Vorstellungen und hat dadurch viel weniger Chancen, Kinobesucher zu ziehen. Die Besucherzahlen pro Film sind gesunken, nicht die absoluten Zahlen.

Cossen: Mir begegnen sehr häufig Menschen, die sagen, der ist ja gar nicht wie ein deutscher Film. Ein deutscher Film muss ja nicht nur brandenburgische Tristesse zeigen. Wobei auch da eine große Geschichte stattfinden kann. Als Filmemacher muss man nicht versuchen, klüger oder intellektueller zu sein, als man ist. Vielleicht sollte man überlegen, wo einem selber im Kino der Atem wegbleibt. Und dann überlegen, den Kern dessen zu finden. Wichtig ist zu wissen, was man nicht erzählen will. Es hat bei mir sehr lange gedauert, bis ich wusste, was der Kern meiner Geschichte ist.

Wie lange haben die Vorbereitungen für ihren Film gedauert?

Cossen: Ich habe vier Jahre an dem Film gearbeitet. Das erste Jahr war die Treatment-Phase. Das Zweite Jahr war Drehbuchphase, dann haben wir gedreht und schließlich vierzehn Monate geschnitten. Es war ein sehr glücklicher Moment für mich, als Wim Wenders neulich in einer Talkrunde sagte, dass sie vierzehn Monate geschnitten haben und kurz vor Ende das Gefühl hatten, sie müssten es noch einmal unchronologisch versuchen. Wir haben genau das gleiche gemacht und es war gut zu hören, dass wir nicht die einzigen waren. Wir haben erst aufgehört, als wir sicher waren, dass der Film so stimmt.

Arndt: Die Technik, die heute zur Verfügung steht, wird einfach nicht ausreichend genutzt. Man könnte ab einem gewissen Punkt sagen, man wirft sich das Material einfach auf den Rechner. Dann können ein, zwei Leute zu Hause sitzen und sich den Kopf einschlagen (lacht). Sonst wird immer der wirtschaftliche Druck betont. Natürlich ist ein Schneideraum teuer. Aber dafür gibt es heutzutage kein Grund mehr.

Cossen: Wir haben bei den Eltern des Cutters unter dem Dach geschnitten. Ich frage mich immer, gerade wenn man sich die kurzen Schnittzeiten bei Fernsehfilmen anschaut, warum die Zeit für den Schnitt nicht genau so ernst genommen wird wie die Drehbuchzeit.

Arndt: Ich gewinne gerade einen unheimlichen Respekt vor Fernsehfilmen. Ich habe nie einen gemacht und kenne mich da auch gar nicht aus. Aber Freunde von mir machen das und die haben zwei Wochen nach Drehende einen fertigen, neunzigminütigen Film, der durchaus gut ist. Man kann in diesem Fall nur selten noch etwas ändern, weil keine Zeit zum Nachdrehen ist. Man muss aus dem, was man gedreht hat, etwas Neues erfinden. Das fand ich ganz seltsam, aber ich glaube, da kann man noch ganz viel lernen.

Inwieweit beeinflussen die Fernsehanstalten, die viele Kinofilme mitproduzieren, die Kinolandschaft und speziell den deutschen Arthousefilm? Würde es dem Kinofilm besser gehen, würde er vielleicht vielfältiger sein, wenn Sender nicht soviel Mitspracherechte hätten?

Arndt: Diesen ewigen Streit zwischen Kreativen und Sendern sollten wir so nicht mehr fortführen. Nicht die Sender sind schuld und nicht die Kreativen, sondern die deutsche Politik und der Föderalismus. Warum wir Föderalismus haben, wissen wir. Warum die einzelnen Ministerpräsidenten alles tun, damit die Sender nicht wie in allen anderen Ländern der Welt rechtlich gebunden werden an bestimmte Verhaltensmaßnahmen, das muss man die Ministerpräsidenten fragen. Das ist unser Problem. In Frankreich sind die Fernsehanstalten gesetzlich verpflichtet, bestimmte Summen zu bestimmten Zeit für gewisse Projekte zu geben. Die können da nicht raus. Da gibt es unter den Kreativen natürlich ein Hauen und Stechen, aber das ist okay. So ist eben die Welt, man muss darum kämpfen.

Filmszene: "Drei"

Filmszene: "Drei"

Artehouse contra kommerzielles Kino: Stimmt das Klischee, dass erfolgreiches, deutsches Kino oft leichte Kost und der Artehousefilm meist Kassengift ist? Til Schweiger etwa ist überaus erfolgreich, wird vermutlich aber nie eine Lola gewinnen.

Arndt: Ich kritisiere uns Filmemacher sehr dafür, dass wir diese Unterscheidung zwischen anspruchsvoll und Kommerz machen, denn wir geben so irrsinnig viel Geld für diese Sachen aus, die wir machen. Wir brauchen diese Subventionen und wir sollten von größter Bescheidenheit sein und stolz auf diejenigen, die mit dem Machen ihrer Filme auch wieder die Kosten einspielen. Vielleicht ist es so, dass der ein oder andere Til Schweiger Film nicht den Preis für den besten Film braucht. Aber da sind auch tolle Kostüm- und Maskenbildner beteiligt, Tonleute, Musiker, da sollte man schon gucken und dagegen nicht mit dem Vorurteil des Kommerzes angehen. Jeder von uns will Erfolg haben und ich ärgere mich schwarz über 300.000 Besucher für „Drei„. Das beschäftigt mich noch immer. Das die Menschen keine Filme sehen wollen, in denen schwule Szenen vorkommen, hat mich entsetzt. Insofern bin ich stolz drauf, wenn Til Schweiger mit „Kokowääh“ vier Millionen Besucher macht.

Cossen: Es muss sich auch gar nicht ausschließen.Ich weiß gar nicht, wo Kommerz anfängt. Ab wann ist ein Film kommerziell? Und warum kann er nicht anspruchsvoll sein? Es gibt genug Filme, wo man es schaffen kann, vielleicht nicht fünf Millionen zu erreichen, aber dennoch Erfolg zu haben. Die Bildzeitung hat auch ihr Recht auf  Existenz. Darum wird auch ewig gestritten, aber es gibt eben auch die Süddeutsche oder die Frankfurter Allgemeine, die einen ebenso zentrale Rolle einnehmen.

Aber es gibt eine Trennlinie, die in anderen Ländern so nicht vorhanden ist. Es geht um Inhalte und auch darum, wie der Film produziert worden ist, woher die Fördermittel kommen, oder ob er unabhängig produziert worden ist …

Arndt: Es gibt keinen deutschen Film ohne staatliche Fördermittel. Keiner der ausgewählten Filme ist unabhängig produziert worden, weil es keine reichen Produzenten gibt. Deswegen ist es immer ein Gemeinschaftswerk, bei dem sich mindestens sechs, sieben Finanziers zusammentun und meistens auch noch die Teammitglieder durch irgendeine Form der Ausbeutung ihren Beitrag leisten. Die einen sind halt erfolgreich, die anderen nicht. Beschissen ist es, wenn du einen Film machst, der erfolgreich sein soll und der dann floppt. Ein Film muss ein Unikum sein, um eine Chance zu haben. Dein Film (zu Florian Cossen) hätte keine Chance, wenn er nicht Argentinien und dieses bestimmte Gefühl der Fremdheit, das jeder von uns in sich gespürt hat, genau so zeigen würde.

Interview: Martin Daßinnies

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