Ein Rückblick auf „Chaplin Complete“


Filmszene: "The Gold Rush"

Filmszene: "The Gold Rush"

Zeit seines Lebens reagierte Chaplin in seinen Filmen auf die Umstände und Herausforderungen seiner Zeit, wie seine Tochter im Gespräch mit dem Chaplin Biographen David Robinson in einer öffentlichen Gesprächsrunde betonte. „Seine Filme sind heute genauso modern wie früher„, erklärte sie. „Denken Sie auch nur an Monsieur Verdoux, einen Banker, der nach vielen Jahren entlassen wird und keine Ahnung hat, wie er seine Familie durchbringen soll. Klingelt da was?“ Das Genie Charlie Chaplins lässt sich kaum auch nur annähernd angemessen beschreiben. Er produzierte seine Filme nicht nur, führte Regie und spielte gleichzeitig die Titelrollen, sondern komponierte dazu auch fast sämtliche Filmmusiken selbst, obwohl er nie gelernt hatte, Noten zu lesen. Mit Generalproben für Kinder, einer Ausstellung, einer Chaplin-Kurzfilm-Nacht, die nur acht Besucher bis zum nächsten Morgen durchhielten, und mit Spezialgästen umrahmte das Babylon seine groß angelegte Werkschau und versuchte so, alle Facetten des Multitalents zu beleuchten. Chaplin-Musik-Restaurator und Dirigent Timothy Brock und Stummfilmpianist Neil Brand bildeten dabei die glanzvollen und unterhaltsamsten Höhenpunkte, nicht nur mit ihren Live-Performances, sondern vor allem auch mit ihrem bemerkenswerten Gespräch über das Schaffen des Komponisten Chaplins.

An anderer Stelle dagegen fehlte ein richtiger Moderator, der fehlende Zuschauerfragen mit eigenen kompensiert hätte, um Gäste, wie den Filmhistoriker Kevin Brownlow oder auch David Robinson nicht im Regen stehen und sich komplett selbst zu überlassen, wenn das Publikum keine Fragen zu stellen wusste. So quälten sich einige Gäste, darunter auch Geraldine Chaplin gegen die unangenehme Stille im Raum als Alleinunterhalter durch die Fragerunden, obwohl der anwesende Kurator Friedemann Beyer unterstützend hätte eingreifen können. Nichtsdestotrotz war die Retrospektive mit sehr guten Zuschauerzahlen ein Riesenerfolg für das Babylon und seinen Geschäftsführer Timothy Grossmann, der zuletzt Schlagzeilen gemacht hatte in der Diskussion um die Veranstaltung von Retrospektiven mit ausschließlich digitalen Filmkopien. (Dazu hier unser Interview mit Friedemann Beyer) Grossmann hat mit dieser monothematischen Stummfilmreihe einen Schatz geborgen und sicher auch so die finanziellen Einbußen des Stummfilmfestivals im vergangenen Jahr, die bei über 100.000 Euro gelegen haben sollen, glücklich überwunden. Vielleicht stimmt der Erfolg der Stummfilmreihe den Veranstalter, der leider auch immer wieder wegen seines hitzköpfigen Temperaments gegenüber Mitarbeitern von sich reden macht, wie schon die Kulturzeitmoderatorin Tina Mendelssohn 2010 zu berichten wusste (http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=16866) und das auch schon mal Zuschauer live erleben müssen, versöhnlich. Im Zuschauersaal hörte man jedenfalls ein leises und sehnsüchtiges „Schade„, als der letzte Chaplin-Film „The End“ einblendete. Das verspricht Hoffnung für die dritte Ausgabe des Stummfilmfestivals Berlin-Babylon im kommenden Jahr.

Text: SuT

1 2