Drei Empfehlungen für die 25. Transmediale

Voll wahrer Fundstücke


"Pieces and Love All to Hell" von Dominic Gagnon

"Pieces and Love All to Hell" von Dominic Gagnon

Eine Leinwand am Ende des Ganges, darauf zu sehen: Frauen die sich allein betrinken, gegen genveränderte Lebensmittel eintreten, vor üblen Männern warnen oder Videospiele hacken, sodass ihre eigene Gefühlslandschaft als Pixelschrift überm Avatar aufleuchtet. Was ohne Zusammenhang wahllos aneinander geschnitten scheint, es ist Konzept von Dominic Gagnon. „Pieces and Love All to Hell“ heißt das Projekt, das auf ca. 2011 datiert wird. „Als unangemessen melden“ – der unscheinbare Button, der unter jedem YouTube Video mit einer Fahne symbolisiert wird, markiert die Grenzen der Freiheit im Internet. Einmal von anonymen Nutzern geflaggt, ist das Video, nach Prüfung durch das ebenfalls anonyme YouTube-Team, schnell und für immer verschwunden. Und hier  schaltet sich Dominic Gagnon ein.

Er „rettet“ die geflaggten Videos vor ihrer Löschung und collagiert sie zu einer dunklen Mythologie des amerikanischen Survivalismus. Hier kommen Menschen zu Wort, die dem Staat aufs Tiefste misstrauen, die ihre Mitbürger warnen und sich bewaffnen. So entsteht ein unklares Bild. Während sich die Protagonisten vor dem allmächtigen amerikanischen Staat fürchten, weiß der Betrachter nicht so recht, was in dieser „Hölle“ am bedrohlichsten ist: Die Vereinigten Staaten von Amerika, die Verschwörungstheorien ihrer bis an die Zähne bewaffneten Kritiker oder die anonyme Zensurmacht der netzbeherrschenden Konzerne. Während RIP in Pieces America (transmediale.10) überwiegend Männer zu Wort kommen ließ, widmet sich „Pieces and Love All to Hell“ fast ausschließlich weiblichen Protagonistinnen. Über sechzig Minuten reihen sich so mal berührende, dann wieder banale Sequenzen aneinander und man kommt nicht umhin zu fragen, wer da wohl dissidiert hat. So ist Gagnons Sammlung vielleicht eher Einblick in fremde Befindlichkeiten, sowohl auf User-, als auch  Produzenten-Seite. Politisch und soziologisch, zwischen Langeweile, Voyeurismus und Spannung changierend, hochinteressant. Gagnos Arbeit ist nicht im Theatersaal zu sehen, sondern läuft in Endlosschleife fast ein wenig unscheinbar im Bereich zwischen Toilette, Ausgang und HKW-Shop.

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