Framing Death – Sylvère Lotringer beim Berlin Documentary Forum 2

Über das Verhältnis von Film und Tod


"New Practices across Disciplines Framing Death – How to Shoot One’s Crime": Sylvère Lotringer bei seinem Vortrag am 31. Mai im Haus der Kulturen der Welt, Foto: Marcus Lieberenz

Über das Verhältnis von Film und Tod

Beim diesjährigen Berlin Documentary Forum 2 kuratierte Sylvère Lotringer eine Sektion mit dem Titel „Framing Death“. In drei Sessions führte er durch die Abende entlang des Verhältnisses von Film und Tod. Widmete er sich in den ersten beiden Abenden der Arbeit eines Filmemachers, der Tatorte für die New Yorker Polizei per Video dokumentiert, stand der dritte Abend im Zeichen einer ästhetisch sublimierten, diffus-ödipalen Ménage à trois über den Tod im Film: Lotringer mäanderte durch die Fragmente von „Lightning Over Water“ (1980) von Wim Wenders, der zusammen mit dem totkranken Nicholas Ray einen Film über einen sterbenden Maler machte. Lotringer kehrte heraus, dass sich objektiv nicht von einem Film von Wim Wenders über Nicholas Ray sprechen lässt, sondern dass es sich vielmehr bei diesem Filmfragment um die Sichtbarmachung des komplexen Verhältnisses der Protagonisten zum Tod handelt. Das Vor- und Hinter-der-Kamera existiert nicht mehr. Dokumentarisches und Fiktionales wird problematisch.

Zunächst zu Lotringer: ihm kommt eine zentrale Rolle in der Verbreitung der französischen Philosophie des 20. Jahrhunderts in der USA zu. Er ist der Fährmann, der jüdisch-polnische Bote eines Neuen Denkens in die „Neue Welt“. Als in Paris des Jahres 1938 Geborener, hat er das von den Nazis besetzte Frankreich erlebt, war in den 1950ern kurzzeitig Zionist und studierte an der Sorbonne Psychologie und Philosophie. In den 1970er Jahren arbeitete er eine zeitlang eng mit Guattari zusammen und organisierte einige Summer Schools und Konferenzen, zu denen er Vertreter zeitgenössischer Philosophie einlud. Die prominenteste Konferenz stellt hierbei vermutlich die „Schizo culture conference“ 1975 in New York dar, die den Moment der Initiationsreise des Denkens von Gilles Deleuze und Felix Guattari in die USA markiert. Knapp 70 Jahre nach Freud kommt der „Anti-Ödipus“ nach Amerika.

Die Serie „Framing Death“ beim Berlin Documentary Forum 2 beginnt eigentlich bereits in den 1980er Jahren, als Sylvère Lotringer einen Videokünstler trifft, der sich auf das Filmen von Tatorten in New York spezialisiert hat. Johnny Esposito, der frühe Weegee des Videos sozusagen. Lotringer interessiert sich für ein Einschreiben der Wirklichkeit als Zeichen in den Film. Vor Gericht dient dieser den Geschworenen als Beweismittel und Kriterium für das Urteil, das nicht zuletzt aufgrund der „filmischen Gestaltung“ des Tatorts zustande kommt. In den von Lotringer gezeigten Filmbeispielen und Interviews mit Johnny Esposito wird deutlich, dass es ihm um eine „neutrale“ Wiedergabe von Wirklichkeit geht: „So ist es gewesen oder so könnte es gewesen sein.“ Das Kameraauge lässt bei aller Evidenzsammlung durchaus Spielraum für Spekulation – natürlich im Rahmen forensischer Spurensuche und bleibt damit sehr wohl einem dramaturgischen Narrativ verhaftet. Es gibt eine räumliche und zeitliche Kontinuität – von draußen nach drinnen und wieder zurück, während das Objektiv über die Chronologie des Tathergangs tastend spekuliert. Und das Ganze ohne Schnitt: Denn der würde die Integrität eines juristisch einwandfreien Beweisstücks infrage stellen. Die „neutrale“ Perspektive ist in menschlicher Augenhöhe – der Zoom, der Fokus und die Erhellung der Szene richten sich auf „Indizien“. Der nachsynchronisierte Text wird neutral intoniert. Die Umgebung wird forensisch abgetastet, der Tod spurentechnisch gesichert, der Film zum evidenzbasierten Medium und der Schnitt degradiert zur Markierung eines Tatortwechsels. Cut – neuer Todesfall, neue Akte.

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