Framing Death – Sylvère Lotringer beim Berlin Documentary Forum 2

Über das Verhältnis von Film und Tod


"New Practices across Disciplines Objectifiction": Hito Steyerl bei Lecture am 2. Juni, Foto: Marcus Lieberenz

"New Practices across Disciplines Objectifiction": Hito Steyerl bei Lecture am 2. Juni, Foto: Marcus Lieberenz

Natürlich könne man es sich einfach machen und moralisch über das gesamte Projekt urteilen – da werden einem Sterbenden die letzten Energien für ein selbstsüchtiges Unterfangen abgesaugt. Viel komplizierter wird es aber dadurch, dass Nick weder das Filmen ablehnte, noch das Filmen abgeben wollte, noch in der Lage war es `professionell´ zu dirigieren. Er schuf gewissermaßen jene neblig-sogende Situation der Unbestimmtheit, in der jeder auf sein privates Arrangement mit der Situation angewiesen war. So musste sich jeder der Produktionsteilnehmer nicht nur mit der Autoritätsfrage plagen, sondern auch mit der ödipalen: „Mache ich jetzt gerade einen Film über Nick oder mache ich hier einen Film über mich?“ Von dem verschlossenen Ausgang aus dem ödipalen Dreieck wegen der starken Projektionskräfte zeugen die Aufnahmen.

Lotringer versucht durch eine Jonglage aus Interview- und Sequenzfragmenten das ständige Kippen der unterschiedlichen Perspektive auf den „Tod“ zu ordnen. Nick, Wim, Tim. So kristallisieren sich in einem Film drei Perspektiven des Verhältnisss zum Tod. So fragwürdig die Handlungen der Beteiligten seien mögen, so konsequent und eindrücklich ist dieses fragmentarische Montagestück, das Ergebnis eines in jeglicher Hinsicht fragilen Ensembles ist: das ödipale Wanderspiel, die Finanzierung des Projekts, der Gesundheitszustand und das Verhalten des Protagonisten sowie die Unsicherheiten der Projektteilnehmer. Inwiefern aber der Zuschauer sich diesem Sog aus Unentschiedenheit, Selbst-Gleichgültigkeit und Tyrannei entziehen kann, musste bei diesem Abend allerdings ungeklärt bleiben.

Framing Death und das Berlin Documentary Forum

Lotringer zeigt das problematische Verhältnis von Fakt und Fiktion auf, bleibt aber gewissermaßen bei der Diagnose stehen. Therapeutische Hilfe kam aus anderen Sektionen: Nehmen wir beispielsweise die von Harun Farocki, Volker Pantenburg und Antje Ehmann kuratierte Sektion „Kontrolle und Kontingenz“. Mir scheint, dass sich mit diesen beiden titelgebenden Kategorien das Dokumentarische besser denken lässt als mit dem Begriff der „Objectifiction“ von Hito Steyerl.

Die Kontrollkameras weisen ja gerade auf eine Welt hin, in der der Zufall und die als anormal definierten Grenzüberschreitungen systematisch herausgeplant werden. Die Überwachungskameras, mit denen Johnny Esposito arbeitet, zielen nicht auf eine Gewaltprävention, sondern auf eine Durchsetzung des Rechts der Kamerainhaber. Oder wie Esposito sinngemäß sagt: „Some say it´s not about justice, it´s about just-us.“ Was „Lightning over water“ nun zeige, in der Rekonstruktion von Lotringer, sei dieses Moment der Unvorhersagbarkeit und Eigendynamik der Personenkonstellation, die die Kontingenz zum entscheidenden Kriterium für das sich zeitlich entfaltende Dokumentarische werden lasse.

Johannes Bennke

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