Interview mit „360“-Regisseur Fernando Meirelles

Grenzen haben ihre Bedeutung verloren


Regisseur Fernando Mereilles (links) mit Hauptdarsteller Sir Anthony Hopkins, Foto: Prokino Verleih

Regisseur Fernando Mereilles (links) mit Hauptdarsteller Sir Anthony Hopkins, Foto: Prokino Verleih

Nach seinem schon 2002 auf der Berlinale beachteten Kurzfilm „Golden Gate“ gelang Regisseur Fernando Meirelles der Durchbruch wenig später mit der Verfilmung von Paulo Lins „City of God„. Der am 9. November 1955 in São Paulo geborene Brasilianer Meirelles inszenierte das vor Gewalt strotzende Drama, das ihm zahlreiche Filmpreis-Nominierungen einbrachte, ausschließlich mit Laienschauspielern aus den Favelas Rio de Janeiros. Es folgte 2005 der nicht minder gefeierte „Der ewige Gärtner„, der Cannes-Eröffnungsfilm „Die Stadt der Blinden“ (2008) und aktuell sein starbesetzter Episodenfilm „360„, der beim Filmfest München seine Deutschland-Premiere feierte. Im Gespräch verrät der brasilianische Weltbürger, wie sich für ihn die Welt zu einer Gemeinde ohne Grenzen verändert, wo er sich davon abkapselt und berichtet von den Schwierigkeiten bei der Suche nach seinem Schauspielerensemble.

Senhor Meirelles, die Charaktere in Ihrem Film „360“ sind sehr speziell. Der Zuschauer mag sie nicht sofort. Partner, die sich betrügen, einer geht zu Prostituierten, ein andere benutzen deren Mitmenschen… Ist der Mensch gemein?
Als ich das Drehbuch las, mochte ich jeden von denen. Ich halte alle für gute Menschen. Selbst der Vergewaltiger, der dafür verhaftet wurde, will kein Vergewaltiger sein. Er will ein guter Mensch sein und nie wieder jemanden vergewaltigen. Meine Figuren versuchen gute Ehemänner und Ehefrauen zu sein, aber irgendwas ist in uns, das uns zwingt, eine andere Richtung zu gehen. Das ist das interessante am Film. Es gibt keinen klassischen Bösewicht. Der lauert in uns allen. Ich will ein guter Ehemann sein, bereue aber manche Dummheit meines Lebens. Es ist ein Kampf mit uns selbst. Gute Menschen tun manchmal schlechte Dinge, weil uns irgendetwas in uns dazu bringt. Jeder versucht, sein Bestes zu geben. Aber das ist ziemlich schwierig. Deshalb tun wir es nicht immer. Wir sind eine sehr primitive Spezies. Wir kontrollieren uns recht gut, folgen aber dennoch häufig unseren Instinkten.

Reisen von einem Land zum nächsten in einer globalisierten Welt sind die Basis von „360„. Alles hängt mit allem zusammen. Ihr Drehbuchautor Peter Morgan wundert sich wie „überflüssig Grenzen mittlerweile sind“. Er spricht von „multinationalen Milieus“ und einer „einzigen Weltgemeinde“. Stimmen Sie mit ihm überein?
In der Zukunft, so wir eine Zukunft erleben, werden Grenzen verschwinden. Gerade für Menschen, die sehr viel reisen, wie Peter oder mich, haben Grenzen ihre Bedeutung verloren. Ich hoffe, dass wir uns dennoch lokale Eigenheiten erhalten können. Die machen den Reiz des Reisens schließlich aus. Sonst wird die Welt zu einem einzigen, gleichen Ding.

Ihr Film „360“ vertritt diese These…
Ja. Er zeigt, wie wir alle miteinander verbunden sind. Peter war es wichtig, von weltweiten Verknüpfungen zu erzählen. Wir erleben das in der Wirtschaft, bei der Umweltverschmutzung oder auch wenn ein Virus sich ausbreitet. Aus dieser eng miteinander verbundenen Welt haben wir persönliche Beziehungen abgeleitet. Ich glaube fest daran, dass das, was ich hier heute tue, jemand in China beeinflussen kann. All das, was im Film passiert, kann tatsächlich passieren. Das sind weniger Fantasien, als Möglichkeiten.

Hat dieses Zusammenwachsen der Welt Einfluss auf das, was Heimat für jeden Menschen bedeutet?
Wir alle wissen, wo unsere Heimat ist. Das hat nicht unbedingt mit Ländern zu tun. Mein Zuhause ist, wo meine Frau ist. Wenn ich bei ihr bin, bin ich Zuhause. In England genau so, wie in Brasilien. Unsere Beziehung gibt mir das Gefühl von Heimat – keine Grenzen, Nationalitäten oder Pässe.

Begleitet Sie Ihre Frau zu Dreharbeiten?
Nein, nur wenn ich für längere Zeit irgendwo drehe. Sie hat ihre eigene Arbeit in Brasilien. Wenn ich täglich von einem Ort zum nächsten muss, macht das keinen Sinn.

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