Rückblick auf das 3. Lateinamerikanische Kurzfilmfestival

Bindeglied zwischen tradierten Lebensweisen


"Los Retrados": Überraschende Einkehr einer Sofortbildkamera in das Leben eines alten kolumbianischen Bauernehepaars.

"Los Retratos": Überraschende Einkehr einer Sofortbildkamera in das Leben eines alten kolumbianischen Bauernehepaares.

„Brasilien ist im kommenden Jahr das Land, auf welches der Fokus gerichtet sein wird. Bis dahin!“ Mit diesem Satz schloss der Festivaldirektor des diesjährigen Lakino seine Dankesrede am Abschlussabend im Babylon Mitte. Damit würdigte Martin Capatinta auch den aus dem Land des Zuckerhuts stammenden Gewinnerfilm der Offical Competition „Tela“ (2010) von Carlos Nader. Der Brasilianer Nader war sichtlich gerührt und freute sich während der Preisverleihung über einen mit eintausend Euro dotierten Preis. Mehr noch, er war angetan von der Anerkennung seitens der Jury und des Publikums, denn auch bei dessen Wahl platzierte sich der sehr geistreich inszenierte Streifen ganz oben. Sicher ist die Idee, einen Film im Film zu zeigen und diesen immer wieder ablaufen zu lassen –  seit „Und täglich grüßt das Murmeltier“ nicht neu. Gleichwohl lässt Nader seinen Bill Murray, gespielt von Luis Miranda, nicht nur öfter aufwachen, sondern sich im Kino sitzend auch noch selbst auf der Leinwand betrachten. Dort ist der Protagonist nicht in einem illustren Homevideo zu sehen, sondern eben in jenem Kino sitzend, welches das Spiegelbild des Publikums und somit sein eigenes zeigt.

In der mehrfachen Gegenüberstellung der selben Perspektive entwickelt sich ein wiederholender Verlauf einer tödlichen Szene. Gerade das Spiel mit den Blickwinkeln, die bis zum Filmende ein und der selbe zu scheinen sind, machen diesen surrealen Film einzigartig. Gekonnt lässt die Kameraführung die Grenzen zwischen gespielter Realität und Fiktion verschwimmen. Der Zuschauer hat es beabsichtigt schwer, zwischen kafkaesker Wirklichkeit und Wahn unterscheiden zu müssen. Die Jury betonte allerdings, dass die Wahl sehr schwer fiel und es eine knappe Entscheidung war. Denn auch der sehr subtil gezeichnete Film „Los Retratos“ (2012) aus Kolumbien war neben dem Siegerfilm ein weiterer Favorit.

Sehr einfühlsam beschreibt der Regisseur Ivan D. Gaona die überraschende Einkehr einer Sofortbildkamera in das Leben eines alten kolumbianischen Bauernehepaares. Denn Paulina (Verónica Romero de Moncada) gewinnt auf dem Markt nicht die ersehnte Henne, sondern einen Fotoapparat. Der Einzug der modernen, technisierten Welt in das rustikale Leben zweier alter Menschen ist hier in Form der Kamera in erster Hinsicht etwas befremdlich, entwickkelt sich aber im Verlauf des Filmes zu einem Bindeglied zwischen tradierten Lebensweisen und der modernen, globalen Lebenswelt. Es ist ein richtiger Spaß, den Paulina und ihr Mann bei jeder Fotostrecke entwickeln, und der ihnen einen kleinen Ausbruch aus dem harten, südamerikanischen Bauernleben bietet. Neben diesen und anderen gut bis sehr guten Filmen überraschte das Programm von Lakino gerade durch seine Nebenschauplätze.

Am Eröffnungsabend brachte eine Berliner Combo das Babylon lateinamerikanische Rhythmen näher und stimmte so klangvoll auf das Festival ein. Fast jede Vorstellung war bis auf den letzten Sitz ausverkauft und gerade viele in Berlin lebende Südamerikaner nutzten die Gelegenheit. Das Latino-feeling unterstützte auch die Dauerausstellung von Masken und Skulpturen des Künstlers Edmundo Torres „Mascaras y Esculturas“ im oberen Stock des Kinos. Vielleicht kann sich das Festival in den kommenden Jahren noch größer Aufstellen und das lateinamerikanische Lebensgefühl, nicht nur über die Filme, weiter nach Berlin tragen!

Sven Bruelke