Rückblick auf die 20. ContraVision im Colosseum

Visionen in Reinform


Die Veranstalter von ContraVision liegen ihren 2012er Gewinnern zu Füßen.

Die Veranstalter von ContraVision liegen ihren 2012er Gewinnern zu Füßen.

Was bedeutet eigentlich contravisionär? Ist das ein Gegenkino? Sind das Filme, die von politischen Aktivisten gemacht wurden? Filme, die für ein anderes Publikum bestimmt sind? Oder gar Filme, die niemand sehen will? Auch nach fünf Tagen ContraVision Festival fällt es zugegebenermaßen schwer, einen definitorischen Überbau für das zu finden, was man da gesehen hat. Denn die meisten Themen und Motive der einzelnen Kurzfilme sind gar nicht so visionär und contra, vielmehr sind sie bekannt, alltäglich, emotional und damit vertraut. Den Unterschied macht hier nicht der Inhalt, sondern die Form.

Gleich zu Beginn des Festivals gibt es für den Filmgänger aber schon Umstände, mit denen er nicht unbedingt d’accord geht. Fünf Euro für Popcorn an der UCI-Kinokasse? Contra! Sich den Preisen des Prenzlauer Berg Kinos ohnmächtig ausgeliefert fühlend, packt man beim nächsten Mal gleich besser die Klappstulle ein. Hält auch länger vor bei diesen Minusgraden im derzeit schockgefrosteten Berlin. Die ContraVision startet am ersten und auch an den folgenden Abenden verspätet, dafür aber mit vier Organisatoren, die sich mit Tuxedos und Abendkleidern ordentlich in Schale geworfen haben und via Walkie Talkies angespannt versuchen, das akademische Viertel und die Ungeduld der Zuschauer nicht noch länger auf die Probe zu stellen. Denn bei 180 Minuten Bewegtbild pro Abend, mehreren Q&As mit Filmemachern, Pausen und abschließender Auszählung der Tagessieger wird man hier ohnehin lange an seinen Sitz gefesselt sein.

Die Zeit ist immer ein unerbittlicher Gegner des Programms und die Zeit ist genauso die Maßeinheit des menschlichen Daseins, die bei vielen Kurzfilmen Federführer war. Beispielsweise in „The Hour Glass“ von Joscha Thelosen, in dessen Animationsfilm der Tod als personifizierter Dauersingle in einem kleinen Häuschen wohnt und in seinem Keller eine astronomische Ansammlung von Stundengläsern hortet, die seinen Arbeitsalltag organisieren. Als ihm eines Tages ein Kind vor die Tür gelegt wird, das er nach anfänglichen Schwierigkeiten ins Herz schließt und das wie jedes menschliche Leben über ein Verfallsdatum verfügt, muss der Tod erstmals mit seinem eigenen Berufsethos kämpfen. Wieso muss jemand sterben, den man liebt? Das fragt sich auch der Rentner Volkmar Kirschbaum in „Testfahrer“ (Florian Arndt), dem seine Frau vor einigen Jahren schon durch Krebs entrissen wurde, dabei ist dieser lebensfrohe Mann dem Tod schon selbst mehrfach von der Schippe gesprungen. Arthrose, multiple Sklerose, Diabetes und mehrere Herzinfarkte – Volkmar Kirschbaum hat noch keine Lust, „geholt“ zu werden, solange er einmal täglich mit dem elektrischen Rollstuhl das Grab seiner Frau besuchen kann.

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