Visconti – Die Retrospektive im Babylon Mitte


Luchino Visconti, Foto: Italienisches Kulturinstitut Berlin

Luchino Visconti, Foto: Italienisches Kulturinstitut Berlin

Er gilt als Begründer des Neorealismo, den er selbst später mit poetischen Überhöhungen und Verdichtungen gesprengt hat. Seine Landsleute nannten ihn wegen seiner sozialrevolutionären Gesinnung den „roten Grafen“.  Dennoch erschien Luchino Visconti, Sohn einer der ältesten Mailänder Adelsfamilien, Linken wie Rechten als zwielichtige Persönlichkeit. Als Künstler war er geprägt von steter Zerrissenheit und einer Faszination für Ästhetik, die sich mit dem Interesse am Morbiden abwechselte. Seine Begeisterung galt dem dekadenten Rausch und dem Zerfall. Viscontis Werk ist geprägt von einer Bewegung zwischen den Grenzen der Gesellschaft. So inszenierte er Opern mit der Callas an der Mailänder Scala und hielt Ehrenwache am Sarg des KPI-Chefs Palmiro Togliatti. Mit „Ossessione“ (1942) und „La Terra trema“ (1947) avancierte er zum Mitbegründer des sozialkritischen Neorealismus und arbeitete sich in seinen Spätwerken „Tod in Venedig“ (1971) und „Ludwig II.“ (1972) am Zerfall der Gesellschaft ab. Sein letzter fertiggestellter Film „Gewalt und Leidenschaft“  aus dem Jahr 1975 gilt dem Cineasten als Viscontis moralisches Vermächtnis.

Der Widerspruch in Viscontis Werk ergibt sich aus seiner Geschichte. Als Spross eines lombardischen Adelsgeschlechts erhielt er schon früh eine musische Ausbildung und war beschenkt mit der jahrhundertealten europäischen, kulturellen Tradition. Dennoch wandte sich Visconti von seiner Herkunft ab, bekannte sich zum Marxismus und jobbte in jungen Jahren als Bühnenausstatter und Rennpferdtrainer. In den 30er traf er auf Jean Renoir, dessen Regieassistent er für „Toni“ (1935) und „Eine Landpartie“ (1936) wurde und der ihn auch die Kostüme entwerfen ließ. Visconti sollte später immer wieder mit Renoir arbeiten, dessen Werk in maßgeblich beeinflusste.

Viscontis erster Spielfilm „Besessenheit“ (1942) beruht auf dem Roman „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ von James M. Cain und gilt als Vorläufer des Neorealismus, der Italien aus dem Provinzialismus beförderte. Danach avancierte Visconti zu einem der wichtigsten Oper- und Theaterregisseure seines Landes. Erst fünf Jahre später entstand mit „Die Erde bebt„, ein Film über arme Fischer in einem sizilianischen Ort, die von Großhändlern ausgebeutet werden, ein zutiefst pessimistisches Werk, der durch die für Visconti typische Bildgewalt und überzeugendes Spiel der Lainendarsteller besticht.

Das Babylon Mitte widmet dem Giganten des italienischen Kinos nun vom 21. bis 30. Juni eine Retrospektive, die alle zugänglichen Filme Viscontis präsentiert und das – fast – ausschließlich in 35mm-Kopien und im Original mit englischen Untertiteln! Eröffnet wird die Rückschau, in Anwesenheit von Volker Schlöndorff, mit dem Film „Die Unschuld“ (1975), der die Geschichte eines römischen Adligen gegen Ende des letzten Jahrhunderts erzählt, der das außereheliche Kind seiner Frau umgebracht hat, Frau und Geliebte verliert und letztlich Selbstmord begeht. „Die Unschuld“ führt all die Elemente zusammen, die prägend sind für den heutigen Blick auf diesen Regisseur – intensive Großaufnahmen und eine vor Detailverliebtheit nur so strotzende Ausstattung.

Martin Daßinnies

Visconti – Die Retrospektive im Babylon Mitte, 21. bis 30 Juni. Programm unter www.babylonberlin.de